100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

„Das Recht siegt bloß. Die Gewalt entscheidet.“

Das Abstimmungsergebnis in Oberschlesien wird von der polnischen Seite nicht anerkannt und weitere Gewalttaten werden erwartet. Deutscherseits ist man sich uneins über die möglichen Handlungsoptionen. Soll auf die Rechtslage gepocht oder die bewaffnete Gegenwehr vorbereitet werden? Auch die Sowjetunion erscheint nun als Verbündeter gegen Polen.

Karikatur des Simplicissimus

Der Kampf um Oberschlesien.

Korfantys Aufforderung zu Gewalttaten.

Auf eine Anfrage der Reichstagsabgeordneten Graf Westarp, Hergt und Schultz-Bromberg antwortete der Reichsjustizminister folgendes: Der Reichsregierung ist bekannt, daß der Redakteur Korfanty Ende November 1920 in Rosenberg (Oberschlesien) in einer öffentlichen Versammlung eine Rede gehalten hat, in der er nach Aussage mehrerer Ohrenzeugen zu Gewalttätigkeiten gegen deutsche Abstimmungsberechtigte aufgefordert hat. Der Oberstaatsanwalt in Oppeln hat gegen Korfanty ein Verfahren wegen Vergehens nach § 130 St. G. B. eingeleitet, doch hat der Oberregierungsanwalt bei dem besonderen Gerichtshof der Interalliierten Regierungs- und Abstimmungskommission die Akten eingefordert und dem Oberstaatsanwalt mitgeteilt, daß er die „weitere eventuelle Verfolgung“ übernehme. Nach Artikel 68, vorletzter Absatz, des Friedensvertrages ist die deutsche Regierung verpflichtet, von der Verfolgung politischer Straftaten, die in Oberschlesien während des Schwebezustandes begangen werden, die außerhalb dieses Gebiets ihren Sitz haben. Für die Verfolgung und Aburteilung kommen nach Auffassung der Reichsregierung ausschließlich die im Abstimmungsgebiet befindlichen deutschen Behörden in Frage. Im Gegensatz hierzu hat die interalliierte Kommission in ihren Verordnungen vom 11. März und 25. August 1920 bestimmt, daß strafbare Handlungen, bei denen ein politischer, mit den gegenwärtigen Einrichtungen für Oberschlesien in Widerspruch stehender Zweck verfolgt wurde, sowie die durch den Nationalitätenkampf hervorgerufenen Verbrechen und Vergehen, die geeignet sind, die öffentliche Ordnung oder die Abstimmung zu gefährden, zur Zuständigkeit eines von ihr errichteten besonderen Gerichtshofs gehören. Nach Auffassung der Reichsregierung findet die Errichtung des besonderen Gerichtshofs im Friedensvertrag keine Stütze; gegen die Errichtung ist Einspruch erhoben. Die Uebernahme des Strafverfahrens gegen Korfanty durch den Oberregierungsanwalt hat der Reichsregierung Anlaß gegeben, gegen die Errichtung des besonderen Gerichtshofes erneut Verwahrung einzulegen.

Gegen die polnische Ostgrenze.

Der Pariser ständige Ausschuß der russischen Konstituantenmitglieder erhob Einspruch beim Obersten Rat gegen die im Rigaer Vertrage festgesetzte polnische Ostgrenze. Die Denkschrift stellt fest, daß das von Polen annektierte Gebiet von über 120.000 Quadratkilometer an Größe zwei Dritteln des eigentlichen Polens gleichkomme, und beantragt, dieser Grenzregelung die Bestätigung zu versagen.

Gegen zwecklosen Widerstand.

Die von dem früheren Reichskanzler Hermann Müller im Reichstag erwähnten Bestrebungen amtlicher Stellen in Schlesien, für den Fall der Anwendung militärischer Sanktionen durch Tschechen oder Polen bewaffnete Gegenwehr zu organisieren, führten zu einem lebhaften Einspruch der Breslauer Arbeiterschaft. In einer Versammlung der Funktionäre der Breslauer Gewerkschaften, der Betriebsräte und der Vertrauensleute der drei sozialistischen Parteien berichtete der Vorsitzende des Breslauer Gewerkschaftskartells. Genosse Ruffert, über die bisher getroffenen, überaus törichten Maßnahmen. Er legte dar, daß außenpolitisch damit gar nichts gewonnen sei, wenn Arbeiter vor die Gewehre regulärer Truppen getrieben würden. Die öffentlichen Spielereien mit diesem Gedanken wirken überaus provozierend. Nutzen davon könne höchstens die innerpolitische Reaktion haben. Ein außenpolitischer Anlaß zu der ganzen unüberlegten Aktion, die die Grenzbevölkerung in unnötige Erregung versetze, sei gegenwärtig noch gar nicht vorhanden. Höre dies Spiel mit dem Feuer nicht auf, so stünde der Breslauer Arbeiterschaft das Mittel eines Protestgeneralstreiks zur Verfügung. Die Arbeiter dächten nicht daran, sich für einen Unsinn mißbrauchen zu lassen, der den Fehler von 1914 noch um ein Vielfaches übertrumpfte. Die Ausführungen wurden mit einstimmigem stürmischen Beifall aufgenommen. (Die Tschecho-Slowakei lehnte übrigens die Beteiligung an militärischen Maßnahmen gegen Deutschland ab.)

Quelle:

Allgemeine Thüringische Landeszeitung von 30.4.1921

 

Bild:

26_04.pdf (simplicissimus.info)