100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Der Feind von rechts

Innerhalb der DNVP gehört der Bankier Karl Helfferich zwar nicht zum radauantisemitischen Flügel, aber das heißt nicht, dass der wortgewandete Politiker ein ungefährlicher Feind der jungen Republik wäre. „Der Deutsche“ aus Sondershausen zeigt sich begeistert über die jüngste Reichstagsrede Helfferichs, wo dieser seine Gedanken über die vermeintliche Schuld der Westmächte am Weltkrieg zum Besten gab.

Karl Helfferich (1872-1924)

Helfferich im Reichstag.

Der Reichsaußenminister hat Glück gehabt, denn der Reichstag sah von einer Würdigung seiner Vorschläge ab. Die Regierungsparteien ließen durch den Volksparteiler Rießer ihr Einverständnis mit dem Gang nach Amerika erklären, der Sozialdemokrat Müller-Franken, der zwar gern viele Worte macht, aber nie viel zu sagen hat, berief sich auf das Urteil der Sachverständigen und schloß mit einem Meinetwegen, und Helfferich sagte sich: Die Kugel ist aus dem Lauf, es hat keinen Zweck und kann dem Lande nicht nützen, wenn man jetzt Kritik übt. Unabhängige und Kommunisten aber finden in katonischer Beharrlichkeit stets, und wenn sie über Maikäfer sprechen, nur den einen Schluß: Das Proletariat der Welt wird Deutschland und mit ihm die Welt retten. Man gönnt ihnen diesen Sport. Aus dem Vorstoß gegen Simon wurde eine Abrechnung mit der Sozialdemokratie. Hoffentlich war es nicht nur eine vorübergehende Laune der Deutschnationalen der sozialistischen Hetze endlich mit einem Gegenangriff zu begegnen. Bis gestern hatte man immer geduldig oder ungeduldig zugehört, wenn die Scheidemannathleten die Lüge von der deutschnationalen Schuld am Kriege predigten, bis gestern mochte man die Gefahr solcher Wiederholungen unterschätzt haben – soll es jetzt anders werden? Müllers Rede strotzte von Herausforderungen und Graf Westarp fand bald Anlaß, in einem Zwischenruf an den „sozialdemokratischen Verrat der Revolution“ zu erinnern. Es war ein Anfang, er wirkte: Müller-Franken schimpfte wie ein Rohrspatz, Müller-Franken griff in seiner Wut und Angst zur Waffe der Taktlosigkeit: die Beisetzung der Kaiserin mußte herhalten, die Beerdigung Sylts wurde neben sie gestellt. Aber wenn schon der Schreck in allen Knochen zittert, soll man nicht so undiplomatisch sein, es zu gestehen, denn Angstausdrücke halten die „monarchistische Revolution“ nicht auf und machen auch die Kranzspenden der Reichswehr nicht ungeschehen. Wenn Müller-Franken wüßte, daß auch Leute, deren Person und Amt weit mehr für die Republik bedeuten, Kränze am Grabe der Kaiserin niedergelegt haben! Doch vielleicht weiß er es und schlägt deshalb verzweifelt mit beiden Händen um sich, wie einer, dem ein Bienenschwarm um die Ohren summt. Wer rettet die Republik? Draußen zetert der Feindbund in gut gespielter Entrüstung über die Schuld Deutschlands, um sich einen Rechtsboden für seine unerhörten Forderungen zu schaffen – im Lande selbst wirft die Sozialdemokratie dieselbe Lüge einem Teil des deutschen Volkes ins Gesicht, um ihren Gewerkschaftssekretären gute Staatsämter zu sichern, und das Land zu Parteizwecken auszubeuten: Der Feindbund Arm in Arm mit der Sozialdemokratie! Helfferich umschrieb es: Müller-Franken besorgt die Geschäfte des Verbandes. Was regen sich die um Müller-Franken auf? Sie haben noch weit mehr auf dem Kerbholz: sie fordern die Entwaffnung der ostpreußischen Festungen, die selbst Clemenceau wegen der russischen Gefahr ablehnte, sie lassen der Kaiserin im Grabe nicht einmal Ruhe. Helfferich meint, daraus spreche Niedrigkeit der Gesinnung. Aber mit der Legende von der deutschnationalen Gier nach dem Kriege steht und fällt die Lüge von der deutschen Schuld. Und umgekehrt. Darum der Lärm links, als Helfferich nachwies, daß das kaiserliche Deutschland in der Tat die friedfertigste Macht Europas war. Schuld am Kriege? Helfferich stellt ihr die Schuld am Frieden gegenüber. Wer aber trägt sie? Die Gewissen melden sich, doch Helfferich weist nur nach Amerika. Dorther kam Wilson mit seinen vierzehn Punkten, dorthin strömte das Narkotikum, das den deutschen Siegeswillen einschläferte. Nicht allein dorther – nein, Müller-Franken und die Seinen sollen sich nichts einbilden, aber ohne Wilsons Verheißungen wäre die Wühlarbeit im Lande schwerlich ganz gelingen. Helfferich spricht nun über das Wie, über den Geist des ersten Telegramms, das Leben und Sterben eines Volkes in fremde Hände legt. Und das Wie kann er dem Außenminister nicht verzeihen, auch Harding hat eben mehr Gefühl für nationale Würde gehabt …

[…]

Quelle:

Der Deutsche vom 29.4.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0429.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307585

 

Bild:

Karl Helfferich - Karl Helfferich – Wikipedia