100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Gerichtsvollzieher Briand

Die Rhön Zeitung berichtet über eine Sitzung des französischen Parlaments, in der die deutschen Reparationszahlungen beraten wurden. Die aus Deutschland erhaltenen Zahlungen seien zu gering und Frankreich bereitet sich auf härtere Maßnahmen vor, um den Geldfluss in Gang zu bringen.

Antifranzösische Karikatur des Simplicissimus

Reparationsdebatte in der französischen Kammer

Dienstag nachmittag begann die französische Kammer die Generaldebatte über die Ausgaben des Haushalts von 1921, die nach dem Friedensvertrag von Deutschland zurückerstattet werden sollen. Der Berichterstatter de Lasteyrie erklärte, bis zum 1. Mai 1921 hätte Frankreich 23 Milliarden erhalten müssen, es habe aber fast gar nichts bekommen. Deutschland habe von der Reparationssumme von 20 Milliarden, die es bis zum 1. Mai gezahlt habe, nur die Milliarden gezahlt, die Besatzungskosten allein überschreiten diese Summe um 77 Millionen. Frankreich habe jetzt schon über 60 Milliarden für den Wiederaufbau ausgelegt. Das könne es nicht mehr fortsetzen. Zwei Jahre hindurch habe es

„Milde gegen Deutschland walten lassen“.

Jetzt müsse es zum Zahlen gezwungen werden.

In der darauffolgenden Debatte behauptete Landry, die Zahlungsfähigkeit Deutschlands sei unterschätzt worden (!). Deutschland blühe (!), und man sei erstaunt über den Gegensatz zwischen dem wirtschaftlichen Aufstiegsplan Deutschlands und seiner finanziellen Not. Diese Not sei eben markiert worden. Die öffentliche Meinung in Frankeich habe die energische Erklärung des Ministerpräsidenten Briand mit Befriedigung aufgenommen.

Der Abgeordnete Desjardins sagte, man sei nicht streng genug vorgegangen. In ähnlichem Sinne äußerten sich auch die übrigen Redner.

Eine neue Drohrede Briands

Im weiteren Verlaufe der Debatte ergriff Ministerpräsident Briand das Wort zu einer Drohrede in der klobigen Tonart, die er in letzter Zeit Deutschland gegenüber anzuschlagen beliebt. Er erklärte, Frankreich warte seit zwei Jahren auf Tatsachen, Deutschland müsse jetzt zahlen. Er erinnerte an all seine „Verdienste“, an die Konferenzen von Paris und London, an die Ankündigung und die Ausführung der „Sanktionen“. Die „Sanktionen“ hätten aber noch nicht das erwartete Ergebnis gehabt. In Deutschland herrschte noch ein Geisteszustand, der an ein Entschlüpfen (?) denke.

Am 1. Mai

befinde sich Deutschland all seinen „Vertragsverhandlungen“ gegenüber. Dieser Vertrag erhalte die Anerkennung seiner Schuld sowie die Verpflichtung, daß es die Schäden, die es verursacht habe, in vollem Umfange seiner Fähigkeiten reparieren müsse. In dem Vertrage habe es sich auch verpflichtet, zu entwaffnen und die Kriegsschuldigen zu bestrafen. Der Gläubiger habe also ein ausführbares Urteil in den Händen.

Der Gerichtsvollzieher sei abgeschickt.

Wenn sich der Schuldner widerspenstig zeige, dann müsse ein Gendarm ihn begleiten. Man gehe nunmehr mit einem guten und unterzeichneten Papier in der Hand vor. Wenn der Schuldner nicht zahlt, würden alle Zwangsmittel angewendet, die der Gläubiger in Händen habe. Die Regierung fasse die Lage so auf, und sie sei vollkommen davon überzeugt, daß das Einverständnis zwischen ihr und den Alliierten aufrechterhalten bleiben werde.

Quelle:

Rhön Zeitung vom 14.4.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00172675/RhoenZ_1921-0341.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00202276

 

Bild:

26_06.pdf (simplicissimus.info)