100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Historischer Wandel im Kleinen

Knapp dreieinhalb Jahre nach der Novemberrevolution erhält die östthüringische Stadt Weida ihren ersten sozialdemokratischen Bürgermeister. Was im Kaiserreich undenkbar gewesen wäre, gehört angesichts einer sozialliberalen Landesregierung, die bei der Einführung des Bürgermeisters durch Staatsminister August Baudert (MSPD) vertreten ist, zur neuen Realität.

Stadtwappen Weidas

Die Weidaer Bürgermeistereinführung

Die Einführung des ersten sozialdemokratischen Bürgermeisters unserer Stadt fand Mittwoch mittag 12 Uhr im Gemeinderat-Sitzungssaale statt. Der Mann aus dem Volke wurde gewählt und selbstverständlich von der Regierung als Bürgermeister bestätigt. Früher war es allerdings anders in dem viel gerühmten Goetheländchen Sachsen-Weimar. Einen Sozialdemokraten als Bürgermeister bestätigen! Nein, das ging über den Horizont unserer monarchistischen Staatsmänner. Nicht einmal der Nachtwächter durfte im Geruch stehen, Sozialdemokrat zu sein. Wer es trotzdem wagte, dem hatte das „letzte Stündchen“ geschlagen. Anders ist es jetzt, nachdem die Revolution die Throne und Thrönchen gestürzt hat, was allen Arbeiterfeinden so viel Schmerzen verursacht. Es liegt nun an der werktätigen Bevölkerung, zu verhüten, daß der frühere unwürdige Zustand wieder eingeführt wird.

Kurz nach 12 Uhr war der Sitzungssaal überfüllt. An der Einführung nahmen Bürgermeister a. D. Seiferth, der Gemeinderat, Stadtausschuß, die Schulvorstandsmitglieder und die Beamten und Angestellten der Stadt und eine große Anzahl Zuhörer teil. Gemeinderatsvorsitzender Alander eröffnete den Einführungsakt und richtete einige Worte der Begrüßung an Bürgermeister Faber sowie die erschienenen Regierungsvertreter, Staatsminister Baudert und Staatsrat Kühner. Hierauf nahm Staatsrat Kühner das Wort dem Bürgermeister folgende Ausführungen widmend: „Wollen Sie, Herr Bürgermeister, versprechen, die Gesetze der Weimarischen Gebietsregierung, des Landes Thüringen, des Deutschen Reiches und die Gesetze des hiesigen Ortes gewissenhaft und unparteiisch befolgen und vollziehen und das Wohl Ihrer Gemeinde nach besten Kräften und Einsicht fördern?“ Das neue Stadtoberhaupt antwortete mit einem kräftigen Ja! und dem üblichen Handschlag.

Hierauf führte Staatsrat Kühner noch folgendes aus: „Sie, Herr Bürgermeister, übernehmen Ihr Amt in einer schweren Zeit. In einer Zeit der Bedrohung unseres Landes von innen und außen. Ihre lange Tätigkeit im kommunalen Leben wird Ihnen das Amt leichter gestalten. Die Aufgaben der Gemeinde sind in den letzten Jahren sehr gewachsen. Der Krieg und seine Folgen lasten schwer auf den Gemeinden. Die finanzielle Lage, speziell der Städte, ist schwierig. Die Schuldenlast ist groß. Aber trotzdem kann man auch in der Stadt Weida ruhig der Zukunft entgegensehen. Die Produktion wird sich wieder steigern, die Finanzen sich heben, und es wird ein Aufblühen der Gemeinden zu erwarten sein.“

Staatsrat Kühner verweist den neuen Bürgermeister speziell auf die Erwerbslosigkeit, und es sei Pflicht, diese Erscheinung nach Möglichkeit zu beseitigen. Weiter müsse man der Teuerung, speziell der der Lebensmittel, sein Augenmerk zuwenden. Zum Schluß erwähnte Staatsrat Kühner das Volksbildungswesen – Aufhebung des Schulgeldes – das nicht aus dem Auge gelassen werden dürfte. Die Wohnungsnot mache allen Gemeinden große Sorgen. Er wünscht, daß der Bürgermeister sein Amt gerecht und unparteiisch gegen jedermann verwaltet. Wenn es auch ein Bürgermeister nicht allen recht machen könnte, würde ein Gerechtdenkender dem Bürgermeister niemals das Vertrauen versagen, wenn dieser sein Amt gerecht und richtig verwalte.

Nunmehr ergriff Staatsminister Baudert in seiner gewohnten schlichten und volkstümlichen Art das Wort. Er halte es mit dem Verschen: „Tu’s Maul auf, hör bald auf!“ Er beglückwünsche seinen alten Freund Faber sowie die Stadt Weida zur Wahl.

[…]

Das Rathaus von Weida

Hierauf nahm Bürgermeister Faber das Wort und dankte für die Begrüßung. Seine Wahl als Bürgermeister sei gegen eine starke Minderheit erfolgt. Er habe zuerst Bedenken getragen, ob er die Wahl annehmen solle, sich aber dann doch dazu entschlossen. Viele, die sich gegen ihn erklärt hätten, seien von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Ihm sei es nicht eingefallen, sich um den hiesigen Bürgermeisterposten zu bewerben, um dadurch einen Ruheposten zu bekommen, um sich auf Kosten der Stadt ein gemütliches Leben sehnt, der darf sich nicht um den Bürgermeisterposten bewerben, was wohl die gesamten Beamten bestätigen können. Wenn es in dieser schweren Zeit gelingen soll, unser städtisches Gemeinwesen über das Schwerste hinauszubringen, dann muß die Arbeitskraft, die persönliche Intelligenz und der menschliche Scharfsinn voll und ganz in den Dienst der gemeinsamen Sache gestellt werden. Bürgermeister Faber spricht die Erwartung aus, ohne den neuen Steuervorschlägen (Reklamesteuer, Angestelltensteuer usw.) auszukommen, um den Etat auszugleichen. Durch die finanziellen Schwierigkeiten, von denen gesprochen wurde, müßten verschiedene berechtigte Wünsche zurückgestellt werden, um zuerst das Notwendigste schaffen zu können. In erster Linie müsse jetzt an das Elektrizitätswerk gedacht werden. Im Interesse der Stadt und Einwohnerschaft hoffe er, daß diese schwerwiegende Angelegenheit zwischen den Gemeindebehörden in zufriedenstellender Weise gelöst wird. Der Wohnungsfürsorge und dem so hochwichtigen Schulwesen werde er seine besondere Aufmerksamkeit schenken. Er werde für die Einwohnerschaft tun, was in seinen Kräften stände. In dieser Hoffnung übernehme er sein Amt und danke er nochmals für das ihm entgegengebrachte Vertrauen.

Gemeinderatsvorsitzender Alander hofft, daß all die geäußerten Wünsche in Erfüllung gehen. Er dankt Bürgermeister Seiferth für seine 18jährige Tätigkeit, die er im Dienste der Stadt geleistet habe. Weiter dankt er dem Bürgermeisterstellvertreter Schröter, der in den letzten Jahren viel Arbeit für den Bürgermeister hätte erledigen müssen. Nochmals dankt er den Regierungsvertretern und allen anderen Erschienenen und wünscht dem neugewählten Stadtoberhaupt nochmals ein schnelles und gutes Einleben in unserer Stadt.

Quelle:

Das Volk vom 8.4.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_04_0587.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00192376

 

Bilder:

Wappen Weida - Weida – Wikipedia

WeidaRathaus - Rathaus Weida – Wikipedia