100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Nachruf auf eine Kaiserin a. D.

Im niederländischen Exil verstirbt die Ehefrau Wilhelms von Preußen mit nicht einmal 63 Jahren. Selbst das monarchiekritische Jenaer Volksblatt bemüht sich nichts schlechtes über die Verstorbene zu sagen, deren politische Bedeutung ohnehin sehr gering war.

Gedenkpostkarte

Kaiserin Augusta Viktoria †

Ein Fürsten- und Menschenschicksal hat sich still vollendet. Die Frau, die drei Jahrzehnte lang die deutsche Kaiserkrone trug, ward so schuldlos ein Opfer der geschichtlichen Mächte, wie sie den Glanz, in den sie gehoben ward, niemals gesucht hat. Es ist das besonders Leidvolle dieses Lebens, daß die Kaiserin ihr Glück und ihre menschlichsten Schmerzen aus einem unpersönlichen Geschehen empfing, auf das sie nicht wirken konnte noch wollte, das ihr bis zum letzten Tage fremd und unfaßbar bleiben mußte. An ihrer Wesensart war nichts für Politik geschaffen; die Politik hat ihr schon in den Kindertagen eine Krone genommen, um ihr später eine andere, weit schwerer zu tragende, zurückzugeben. Sie war für den Frieden bestimmt: und das Schicksal ihres Lebensendes war Krieg. Ihre Sehnsucht war mütterliches Wirken im festumgrenzten Kreis: und sie wurde zuletzt von den Leidenschaften einer Welt wie auf ein uferloses Meer getrieben.

Was gekrönte Mütterlichkeit geben kann, hat diese Frau gegeben; und auch gelitten, was Mütterlichkeit leiden kann. Die Tochter des landlosen norddeutschen Herzogs, die in der Schlichtheit ihrer Jugendtage nicht ahnen konnte, daß ihr eine Kaiserkrone bestimmt sein werde, wäre glücklich geblieben, wenn sie auch als Kaiserin nur Mutter hätte sein können: geduldige Begleiterin eines unruhigen, reizbaren und bewunderten Gatten, Pflegerin ihrer Kinder und Enkel, Wohltäterin überall dort, wo das Herrscherinnentum nur eine Vergrößerung des mütterlichen Gefühlskreises scheint, Darstellerin kaiserlicher Hoheit, wo dies unvermeidlich war.

So gut ist es der Kaiserin nicht geworden. Sie hat ihr Wesen nicht ungestört leben und im Alter nicht zu Ende leben können. Ob die Höhe, in die sie getragen ward, sie schon in den Tagen des Glanzes manchmal ängstigte, ob ihr nach Dauerbarkeit verlangendes Frauengefühl nicht doch zuweilen von Ahnungen kommenden Unheils berührt wurde, ist schwer zu sagen. Gewiß ist, daß diese fromme, in patriarchalischer Lebensauffassung erzogene Frau und Mutter den Gewalten, die schöpfungs- und zerstörungsträchtig den Boden Europas zu erschüttern begannen, höchstens gefühlshafte Abwehr entgegensetzen konnte. Mächte, zu denen jede innere Beziehung ihr fehlen mußte, haben immer wieder in ihr Leben eingegriffen, haben sie gekrönt, haben sie die Herzensnot der Gattin und Mutter erfahren lassen, haben ihr einen ihrer Söhne geraubt, und haben sie am Ende – zerbrochen ohne daß sie wußte, woran sie zerbrach.

Viel aufrichtige Trauer, nicht nur der nahe Verwandten, viel verstehendes Mitleid, manche undankbare Erinnerung – und nicht eines Menschen Feindschaft wird dem Sarge der Kaiserin folgen. Ihr ward auferlegt, was schlichte Güte und Hilfsbereitschaft allein nicht vermag, und was glänzendere Eigenschaften nur zum Unheil hätten vollbringen können: in den Tagen einer Weltwende Kaiserin zu sein.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 12.4.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273863/JVB_19210412_084_167758667_B1_001.tif

 

Bild:

Auguste victoria axb01 - Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg – Wikipedia