100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Preußen oder Thüringen?

Knapp ein Jahr nach der Landesgründung ist die Thüringer Identität noch keine Selbstverständlichkeit. Viele werden sich nach wie vor zuerst als Meininger oder Schwarzburgerin betrachtet haben. Oder im Falle Erfurts als Preußen. Die Thüringer Landeszeitung aus Weimar vermutet hinter solchen Identitätsbekundungen jedoch  das Werk von „landfremden“, preußisch stämmigen Redakteuren, die gegen Thüringen „hetzen“ und so die (im Falle Erfurts nicht) vollzogene Einheit stören würden.

Stadtwappen Erfurts

Wühlarbeit gegen Thüringen.

Weimar, den 28. April 1921.

Die Bildung des selbstständigen Staates Thüringen ist vollendete Tatsache. Die Reichsregierung hat sie genehmigt und der Landtag für Thüringen hat sich eine Verfassung gegeben. An diesen Tatsachen ist nichts mehr zu ändern. Die Vereinigung der sieben Einzelgebiete hat sich unter den ganz selbstverständlichen Voraussetzungen, die naturgemäß nicht immer erfreulicher Art sein konnten, vollzogen, da sie mit Entschiedenheit und Ernst in Angriff genommen und mit Sachlichkeit, Erfahrung und gründlicher Kenntnis der Landeskunde und der Eigenart der Thüringer Bevölkerung in Angriff genommen und weiter geleitet wurde.

Die Männer, die diese gar oft undankbare Arbeit vorurteilsfrei und mit großem Verständnis für die immerhin verschiedenartige Denkweise und Erwartung der einzelnen Landesangehörigen geleistet haben, sind des Dankes aller ehrlichen, echten Thüringer sicher. Der Verständige weiß genau, daß bei derartigen Bestrebungen – sieben kleine Länder zu einem zu vereinigen – vielerlei Gegensätze auftauchen, die überbrückt werden müssen, daß es ohne gewisse Eifersüchteleien der bisherigen Residenzstädte nicht abgeht, daß mancher Kreis, mancher Ort besondere Reservatrechte geltend machen zu müssen meint, und daß es nicht immer ganz leicht ist, die verschiedenen Interessenten von staatsrechtlichen oder vor allem wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten zu überzeugen.

Dem einen wird etwas gegeben, dem anderen etwas genommen und ihm dafür etwas anderes zugeteilt. Alle Bemühungen zielen auf eine Vereinfachung und Verbilligung des Regierungsapparates und der Verwaltung, des Schulwesens usw. im Rahmen des heutigen Möglichen hin, denn wäre das nicht der Fall, so hätte die Vereinigung überhaupt keinen Zweck, dann hätte man in dem kleinen Thüringen nach wie vor auf siebenerlei Art regieren und wirtschaften können.

Alle diese Dinge sind, wie gesagt, Binsenwahrheiten und für jeden Menschen, der Einsicht und objektives Wollen hat, klar. Nicht aber für Leute, die es nicht verwinden können, daß wir Thüringer eben Thüringer bleiben wollten, daß wir uns nach dem Staatsumschwung nicht mit Haut und Haaren an Preußen ausgeliefert haben, daß wir alles, was wir besaßen, nicht unter die Botmäßigkeit von Berlin stellten, unter der heute leider noch rein thüringische Gebiete wie der Regierungsbezirk Erfurt stehen, der genau so gut zu Thüringen gehört, wie Sachsen-Weimar oder Gotha.

Gleich nach der Revolution war auch Neigung genug vorhanden, Thüringen mit Einschluß Erfurts zu bilden, und es ist bekannt, daß in Erfurt selbst – soweit es sich um thüringische Erfurter handelte – große Geneigtheit dafür bestand. Dann erst kam der Umschwung, als der ganze preußische Beamtenapparat in Erfurt gegen den Willen der eingeborenen Thüringer Sturm lief. Landfremde Redakteure, die von Thüringen und seinen Verhältnissen wenig Ahnung hatten, taten dasselbe, und so kam es, daß Erfurt heute abseits steht, daß es als preußische Insel mitten in Thüringen liegt und nun grollend zusehen mußte, daß das Werk auch ohne Erfurt gelang und daß heute Weimar die Hauptstadt Thüringens ist, daß aber Erfurt eine abseits liegende preußische Provinzstadt bleibt, bis es einsieht, daß es nach Thüringen gehört, da der größte und beste Teil des Erfurter Landkreises, die Nährgegend für die Großstadt Erfurt, thüringisch ist.

Der Aerger gewisser Leute in Erfurt wird noch genährt durch parteipolitische Momente und nur so wird es verständlich, daß kaum ein Tag vergeht, daß nicht die Erfurter Zeitungen, besonders die sogenannte „Mitteldeutsche Zeitung“, gegen Thüringen und seine Regierung hetzen und geifern. Aus jeder Blume, und wenn sie noch so unscheinbar ist, wird versucht Honig zu saugen, die lächerlichsten Vorkommnisse müssen dazu dienen, die Bevölkerung Thüringens mit Mißtrauen zu erfüllen, sie kopfscheu und unzufrieden zu machen. Bis zu persönlichen Verunglimpfungen verdienter Männer wird die Hetze getrieben, aus trübsten Quellen wird geschöpft, mit unbeweisbaren Behauptungen und von Unkenntnis der wirklichen Verhältnisse strotzenden Darstellungen gearbeitet. Tatsachen werden ins Gegenteil verdreht, jede kleine Mißhelligkeit irgend einer sich benachteiligt fühlenden Dorfgemeinde zu einer großen Aktion aufgebauscht, kurz nichts unversucht gelassen, um auch jetzt noch, nachdem die Hintertreibung der Thüringer Vereinigung nicht gelungen ist, der Regierung Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Oft sind die Bemühungen der Herrschaften so demagogisch und dumm, daß es einem widerstrebt, sie zurückzuweisen.

Auch in Gotha entdeckt plötzlich der ganz frisch aus Preußen importierte Redakteur des früher so angesehenen „Gothaischen Tageblattes“, das vor kurzer Zeit seine politische Ueberzeugung gewechselt hat, allerlei Ungünstiges für Gotha und seine Zukunft. Gleich beginnt die Hetze nach berühmtem Muster, zwecklos zwar, denn man merkt die Absicht, aber doch ganz methodisch. Es hilft aber alles nichts, auch Herr C. wird Gotha nicht preußisch machen, denn jeder Gothaer weiß, daß seine schöne Stadt als preußisches Provinzstädtchen ein ganz vergessenes Dasein führen würde, daß Preußen oder Bayern mit Gotha, Sondershausen, Meiningen, Rudolstadt, Saalfeld usw. ganz kurzen Prozeß machen würde, daß die Berliner Regierung den Teufel nach der Eigenart Gothas fragen würde, daß sein Theater glatt eingehen würde, wie es wahrscheinlich in Preußen ganz anderen Theatern bevorsteht.

Und nun erst die parlamentarische Vertretung der Thüringer Staaten im preußischen Landtag: Die paar Abgeordneten würden einflußlos und machtlos zwischen dem Heer der preußischen Zentrums- und anderen Abgeordneten sitzen, während die einzelnen Gebietsvertretungen im Landtag für Thüringen doch eine Rolle spielen, ihre besonderen Bedürfnisse wirksam vertreten und als Glieder der Regierung für das eintreten können, was ihnen besonders am Herzen liegt.

Das wissen unsere Thüringer Volksgenossen, ob sie nun aus Meiningen, Gotha oder Sondershausen stammen, ganz genau, weshalb auch die Erfurter und neuerdings die Gothaer Hetze wirkungslos bleiben wird, selbst wenn sie von Außenseitern in Thüringen selbst auch gesehen und mit Schmerzen beobachtet wird mit der Hoffnung: die Hetze ist zwar zwecklos und häßlich, aber es bleibt doch etwas hängen und es gibt ja auch für gewisse Elemente nichts Schöneres, als in dieser schweren Zeit Verwirrung und Unsicherheit in die Volkskreise zu tragen, damit das Feuerchen, an denen man Parteisuppen kocht, lebhafter brenne. Solchen Leuten ist das Wohl des Ganzen gleichgültig.

Aber ihnen wird es nicht gelingen, die vollzogene Einheit Thüringens zu stören, die eine Notwendigkeit war und die jeder wahre Thüringer freudig begrüßt mit Dankbarkeit gegen die Männer, die sie geschaffen haben.

Quelle:

Allgemeine Thüringische Landeszeitung vom 28.4.1921

 

Bild:

DEU Erfurt COA - Datei:DEU Erfurt COA.svg – Wikipedia