100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Thüringer Polizeichef im Kreuzfeuer

Die Anklage gegen Hermann Müller-Brandenburg wegen vermeintlicher Protegierung von Linksradikalen in der Thüringer Landespolizei ist zwar sachlich haltlos, aber erregt dennoch das Interesse der überregionalen Presse. Reichsinnenminister Koch-Weser (DDP) hatte sich kritisch gegenüber Müller-Brandenburg geäußert, wohinter die Linkspresse eine Gefälligkeit in Richtung der DVP vermutet.

Erich Koch-Weser

Der Fall Müller-Brandenburg im Spiegel der Presse

Daß sich mit der unter so eigenartigen Umständen erfolgten Beurlaubung des Majors der Thüringischen Landespolizei auch die außenthüringische und vor allem die große Berliner Presse beschäftigt, zeigt die politische Bedeutung des Falles auch für die Reichspolitik. Allerdings ist es weniger die Rechtspresse, die nur die durch Wolffs und dem Stinnes-Bureau verbreiteten sog. „objektiven“ Meldungen weitergibt, also zustimmt.

Die Linkspresse dagegen äußert sich sehr kritisch, teilweise unter starken Angriffen gegen den Reichsminister Koch, und schließt sich im übrigen der vom „Volk“ erhobenen Forderung nach einwandfreien Rechtsgarantien für das Verfahren und daß dasselbe nicht in die Hände offensichtlicher Gegner der Beschuldigten gelegt wird, an. Alle Linksblätter sind sich, gleich dem „Volk“, darüber einig, daß z. B. der Monarchist Oberregierungsrat Wagner selbst für die Vorbereitung eines Verfahrens gegen einen ausgesprochenen Republikaner, wie Müller-Brandenburg, der ungeeignetste Mann ist.

So schreibt der „Vorwärts“:

„Wir verlangen, ohne dem Ergebnis der Untersuchung vorzugreifen, daß diese von einwandfreien Beamten geführt wird. Wir verlangen ferner in Uebereinstimmung mit dem „Volk“, daß dem Angeschuldigten alle Garantien ordnungsmäßiger Verteidigung gegeben werden“.

Die „Welt am Montag“ bringt einen größeren Auszug aus dem „Volk“-Artikel „Giftpfeile gegen die Republik“ und fügt hinzu:

„„Müller-Brandenburg“ ist eine charaktervolle Persönlichkeit demokratischer Richtung, der seinerzeit als Leiter der Staatsgendarmerie in Mecklenburg-Strelitz den Kappisten mit Energie entgegengetreten ist. Jetzt fällt er in Thüringen anscheinend Treibereien zum Opfer, deren Ausgangspunkt bei den reaktionären Einbläsern der Reichsregierung liegt.

Die „Freiheit“ schreibt nach einer, in Anbetracht der unabhängigen politischen Abstinenz nicht ganz zutreffenden Darstellung der politischen Machtverhältnisse Thüringens:

„Indem Herr Minister Koch die Reichsgewalt auf Thüringen niedersausen läßt, wie er sie früher auf Bremen und Gotha fallen ließ, macht er seinem Ruf als „Orgesch-Minister“ alle Ehre. Derselbe Minister, der gegen Bayern, jenen Herd des Monarchismus und der offenen Auflehnung gegen die Reichspolitik, nichts unternimmt, ist stets da auf den Ruf der Reaktion, wenn es sich darum handelt, einer linksgerichteten Regierung in den Arm zu fallen. Er hat damit den Beweis erbracht, daß er bei einer künftigen Regierungsänderung des Wohlwollens der Deutschen Volkspartei versichert sein darf, um das er sich so krampfhaft bemüht“.

Das „Berliner Tageblatt“ läßt sich von zuständiger Seite (d. h. vom Reichsministerium des Innern. Red. d. „Volk“) mitteilen,

„daß es unrichtig ist, daß die Anzeige von rechtsstehenden Personen veranlaßt sei. Die Anzeige geht vielmehr von mehrheitssozialistischer Seite aus. Die Vorwürfe beziehen sich einesteils darauf, daß in der Landespolizei Personen, die der Unabhängigen Sozialdemokratie oder der Kommunistischen Partei angehören, bei der Einstellung und Beförderung in besonderer Weise bevorzugt worden seien“.

In seinen weiteren Ausführungen bezieht sich das „Berliner Tageblatt“ auf die P. P. R. (eine Nachrichtenquelle, die auch von unserer Parteipresse vielfach und leider sehr unkritisch benutzt wird, aber, wie dieser Fall, zeigt, mit größter Vorsicht zu behandeln ist) und sagt weiter:

„Wie die P. P. R. hierzu noch mitteilen, hat nach Abschluß der Vernehmung der (mehrheitssozialistische) Vertreter der Thüringischen Regierung dem Thüringischen Staatsministerium ausdrücklich erklärt, er halte es für seine Pflicht, dem Staatsministerium gegenüber zum Ausdruck zu bringen, daß die Untersuchung von dem Vertreter des Reichsministeriums des Innern in vollster und einwandfreiester Objektivität geführt worden sei“.

Wenn in der amtlichen Auslassung davon die Rede ist, daß die Vorwürfe von mehrheitssozialistischer Seite kommen, weil in der Landespolizei Unabhängige und Kommunisten in der Einstellung und Beförderung bevorzugt seien, so müssen wir dies als einen sehr ungeschickten Versuch ansehen, die ganze Angelegenheit auf ein nebensächliches Gebiet zu übertragen. Mag sein, daß vielleicht auch Unstimmigkeiten in Einstellung Beförderung bestehen, jedenfalls hat das jetzige Verfahren gegen Major Müller-Brandenburg aber hiermit gar nichts zu tun. Das jetzige Verfahren ist vielmehr auf einen im Dienste der Orgesch gestandenen, moralisch deklassierten Spitzel, der sich in die SPD. eingeschlichen hatte, zurückzuführen.

Wir wiederholen, was wir in der Montagsnummer des „Volk“ bereits sagten, daß wir, nachdem ein ordnungsmäßiges thüringisches Verfahren eingeleitet ist, in das schwebende Verfahren nicht eingreifen wollen, aber für die Beschuldigten alle Rechtsgarantien, wie sie in einem ordentlichen Rechtsverfahren jedem Angeklagten zustehen, verlangen müssen.

Wie wir hören, soll aber bereits über einen der Bezichtigten verhandelt sein, ohne daß Major Müller-Brandenburg gehört wurde. Wir sind im Augenblick nicht in der Lage, diese Mitteilung von der uns sonst als zuverlässig bekannten Quelle nachzuprüfen; sollte diese Nachricht aber zutreffen, so müßten wir unsere mehrfach aufgestellte Forderung nach Rechtsgarantien für alle Bezichtigten auf das deutlichste wiederholen.

Quelle:

Das Volk vom 27.4.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_04_0703.tif

 

Bild:

KochErich - Erich Koch-Weser – Wikipedia