„Wir wollen zum Reich!“
Eine Volksabstimmung im österreichischen Bundesland Tirol, von welchem ein Teil nach dem Ersten Weltkrieg an Italien abgetreten werden musste, zeigt den hinlänglich bekannten „Anschlusswillen“ der Alpenrepublik an Deutschland. Auch die Sozialdemokraten unterstützen diesen von der Entente verbotenen Schritt emphatisch, u.a. da sie sich hiervon Schutz vor den italienischen Faschisten versprechen.
Tirols Anschlußwille
Innsbruck, 24. April. (WTB.) Bei der Volksabstimmung haben von etwa 150.000 Stimmberechtigten ungefähr 90 Proz. ihre Stimme abgegeben, von denen mindestens 120.000 bis 125.000 für den Anschluß an Deutschland gestimmt haben.
Einzelergebnisse:
Innsbruck Stadt 93.954 Stimmen mit ja, 472 Stimmen mit nein. 134 Stimmen ungültig. Davon von auswärts Zugereisten 2.144 Stimmen, von denen 2.139 mit ja, fünf mit nein stimmten.
Kufstein 18.352 Stimmen mit ja, 135 mit nein.
Schwaz 10.457 Stimmen mit ja, 56 mit nein.
Imst 7.899 Stimmen mit ja, 71 mit nein.
Landeck 9.654 Stimmen mit ja, 242 mit nein.
Innsbruck, 25. April. (Eigener Drahtbericht des „Vorwärts“.) Der Abstimmungstag war ein Freudenfest. Die Städte, die Bahnhöfe, die Lokomotiven, die Straßenbahn, die Menschen waren mit den Tiroler Farben, Tannenreis und Blumen geschmückt. Während des ganzen Tages zogen Musikkapelen in Landestracht durch die Stadt. Vom Voralberg bis nach Kufstein ertönte der Sehnsuchtsruf „Wir wollen zum Reich!“ Schon früh um 8 Uhr war starker Andrang vor dem Wahllokale. Die Parole der Sozialdemokratischen Partei lautete: „Jeder Arbeiter hat zu stimmen!“ Die Wahlbeteiligung war besser als bei der Wahl zum Nationalrat, trotz dem hohen Schnee, der bis in die Täler gefallen war. Es gab nur 1 bis 2 Proz. Neinstimmen. Die Parole der Monarchisten blieb wirkungslos. An der bayerischen Grenze wurden einige Grenzpfähle herausgerissen. Bei der Verkündung des Abstimmungsresultats brach endloser Jubel aus. –
In Bozen überfielen heute bewaffnete italienische Fascisten einen deutschen Trachtenumzug. Es gab einen Toten und 43 Verwundete. Beim Bekanntwerden dieses blutigen Zwischenfalles in Innsbruck fanden am Abend vor dem italienischen Konsulat Demonstrationen statt, die jedoch ohne Ausschreitungen verliefen.
In diesen trübsten Tagen der Geschichte des deutschen Volkes gibt es wohl nichts Erhebenderes als diesen neuen spontanen Beweis der unwandelbaren Treue der Deutschösterreicher zum großen Deutschen Reiche. Das kleine Tiroler Volk, das seit jeher stolz auf seine Unabhängigkeit gegenüber fremdsprachigen Herrschern gewesen ist, hat eine mutige Tat vollbracht, indem es sich, trotz aller Drohungen Frankreichs, nicht hat nehmen lassen wollen, seinen Anschlußwillen zu bekunden. Es war übrigens unzweifelhaft in seinem Recht, auch gegenüber den unmoralischen Fesseln des Artikels 888 des Diktates von St. Germain, denn es hat damit nur der ganzen Welt und namentlich dem Völkerbunde einen Beweis seiner wirklichen Gefühle und Wünsche liefern wollen.
Quelle:
Das Volk vom 26.4.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_04_0696.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00192469