Eine weitere Flüchtlingsfrage
Im Verlauf des Polnisch-Sowjetischen-Krieges kam es 1920 angesichts des sowjetischen Vormarsches zu Flüchtlingsbewegungen in Richtung Westen. Die folgende Zeitungsmeldung beschäftigt sich mit ebenjenem erwarteten Flüchtlingsstrom vor dem Hintergrund der eigenen, als ungerecht und unterdrückend empfundenen Erfahrungen der deutschen Bevölkerungsanteile im nunmehr polnischen Gebiet. Offensichtlich ist dabei das auch im linksliberalen Milieu verbreitete Überlegenheitsgefühl gegenüber Polen.
Polnische Jämmerlichkeiten.
Bislang wurden die Polen nicht einmal durch den völkischen Zusammenbruch ihres sogenannten Großstaates von Entente Gnaden davon abgehalten, die innerhalb ihrer Grenzen befindlichen Deutschen auf die gemeinste Weise zu bedrücken, auszuplündern und durch entwürdigende Verhandlung bis aufs Blut zu peinigen. Im Gegenteil, je kläglicher sich die Lage Polens gestaltete, um so brutaler wurde auch die Behandlung, durch die man seine Wut an den um ihrer Überlegenheit willen so innig gehaßten Deutschen ausließ. Sogar in dem allerdings auch sonst von größten Entstellungen der Wahrheit trotzenden Hilferuf, den der polnische Verteidigungsrat in der höchsten Not des Landes „An alle“ richtete, wurde Deutschland wiederum des Bruches der Neutralität verdächtigt. Es hieß da entgegen der Wahrheit, daß an der Weichsel Offiziere des Zares Nikolaus unter Generälen des Kaisers Wilhelm kämpfen, während von zuständiger Stelle und außerdem von der russischen Regierung selbst längst festgestellt worden war, daß kein einziger deutscher Offizier im russischen Heere sei. Schließlich ließ man sich im Laufe der letzten Tage ohne Bedenken zu unerlaubten Grenzverletzungen hinreißen. Denn nach authentischen Meldungen aus Königsberg haben die Polen bei der Verteidigung des Soldauer Landes Maschinengewehr- und Artilleriefeuer auf die deutschen Grenzgebiete gerichtet, so daß eine deutsche Beschwerde nach Warschau abgehen mußte. Und nun mit einem Male die jämmerliche Kehrseite! Infolge des unaufhaltsamen Vordringens der siegreichen Russen haben an der preußisch-polnischen Grenze die Grenzübertritte polnischer Flüchtlinge immer größeren Umfang angenommen. Offenbar fürchten nun die Polen, von sich auf andere schließend, daß an diesen Flüchtlingen wegen der polnischerseits an Deutschland begangener Brutalitäten irgendwie Vergeltung geübt werden könnte. Und um ihnen eine menschenwürdige Aufnahme zu sichern, die ihnen in Deutschland natürlich ohnehin unter allen Umständen geworden wäre, wurden im Korridor plötzlich überall Plakate angeschlagen mit der bezeichnenden Aufschrift: „Behandelt die Deutschen besser!“ Ob sich die edlen Polen der Kläglichkeit ihres Verhaltens gar nicht bewußt werden?
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 18.8.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273665/JVB_19200818_193_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371086
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Polnisch-Sowjetischer_Krieg#/media/Datei:Powazki_1920.JPG