Kattowitz in Aufruhr
Polnische Aufständische in Oberschlesien versuchen das Gebiet an das neugegründete Polen anzugliedern. In diesem Zusammenhang überschlagen sich die Meldungen in den Zeitungen, wobei vor allem die ambivalente Rolle der alliierten Besatzungsmächte heraussticht, die einerseits eine Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft wünschen und andererseits Reparationsforderungen geltend machen. Die deutsche Seite fordert demgegenüber ein Eingreifen der Entente zur Wiederherstellung der Ordnung.
Eine deutsche Note über Oberschlesien.
Der Ernst der Lage.
Berlin, 21. August, der Vorsitzende der deutschen Friedensdelegation in Paris hat heute dem Präsidenten der Friedenskonferenz folgende Note überreicht:
Nach vorliegenden Meldungen befindet sich der Ostteil des Kreises Kattowitz seit der Nacht vom 19. zum 20. August in Aufruhr. Am 20. August nachmittags wurden Myslowitz und Laurahütte seitens der Sicherheitspolizei nur noch unter schwerem Kampf behauptet. Die zwischen beiden Orten gelegenen Ortschaften waren in den Händen der Insurgenten, die sich aus der ortsangesessenen Bevölkerung polnischer Nationalität rekrutierten und durch uniformierte polnische Soldaten verstärkt sind. Die Insurgenten waren bis dicht an den Ortsrand von Kattowitz vorgedrungen. Kattowitz selbst war von französischen und italienischen Truppen besetzt, die am 20. August nachmittags Verhandlungen mit den Kattowitz bedrohenden Insurgentenscharen begonnen hatten.
Die Bildung bewaffneter Banden aus der ortseingesessenen Bevölkerung läßt sich mit den Bestimmungen des Friedensvertrages ebensowenig vereinbaren, wie die Anwesenheit ortsfremder bewaffneter Elemente.
Nach Zeitungsnachrichten soll in einem Bericht des Herrn General Le Rond bemerkt sein, daß die deutsche Regierung die Ausschreitungen unterstützt habe.
Die deutsche Regierung kann nicht glauben, daß derartige Ausführungen sich wirklich in dem Bericht einer so hohen und verantwortlichen Stelle befinden. Sollten von anderer Seite solche Behauptungen aufgestellt werden, so wäre dies eine frivole Verleumdung. Die Beschuldigung ist handgreiflich unwahr. Gerade in den letzten Wochen hatte es sich die deutsche Regierung mit Rücksicht auf die in Spa übernommenen, nur mit Anspannung aller Kräfte erfüllbaren Verpflichtungen angelegen sein lassen, auf eine Vermehrung der Kohlenförderung in Oberschlesien durch Überschichten hinzuwirken. Sie hatte allen Grund anzunehmen, daß die oberschlesischen Bergarbeiter im allgemeinen Interesse sich einsichtsvoll zu einer solchen Wehrarbeit verstehen würden. Eine Steigerung der Kohlenförderung wäre aber in einem insurgierten Lande nicht erreichbar. Die deutsche Regierung muß nicht nur wegen der von ihr übernommenen internationalen Verpflichtungen, sondern auch im Interesse der deutschen Industrie und zur Verminderung der Arbeitslosigkeit den größten Wert darauf legen, daß Oberschlesien ruhig weiter arbeitet.
Die deutsche Regierung beehrt sich, die Aufmerksamkeit der verbündeten Regierungen auf den Ernst der Lage in Oberschlesien hinzulenken. Sie erwartet von den verbündeten Regierungen, daß sie unverzüglich für den Schutz des Lebens und Eigentums der friedlichen Bevölkerung sorgen und damit die Vorbedingungen schaffen werden, die zur ungestörten Fortsetzung der Arbeit in diesem für das Wirtschaftsleben von ganz Europa so wichtigen Bezirke erforderlich sind.
Die deutsche Regierung würde es mit Dank begrüßen, wenn ihr zur Beruhigung der sehr erregten öffentlichen Meinung baldigst mitgeteilt werden könnte, daß es der Interalliierten Kommission gelungen ist, den von ihr übernommenen Schutz Oberschlesiens wirksam durchzuführen.
Mitteilung der Interalliierten Kommission.
Kattowitz, 22. August. Wie die Interalliierte Kommission amtlich mitteilt, hat sie am Freitag morgen, sobald sie von den Vorgängen in Laurahütte, Schoppinitz und Myslowitz benachrichtigt war, den Belagerungszustand über den Landkreis Kattowitz verhängt und die Ortschaften durch interalliierte Truppen besetzen lassen. Die Entwaffnung wird durchgeführt, alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Grenze werden getroffen. Die Kommission fordert alle vernünftigen Bürger zur sofortigen Aufnahme der Arbeit und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Ordnung auf.
Kattowitz, 22. August. Eine Abordnung der Führer der deutschen Parteien sprachen am Sonnabend bei General Gracier und Oberst Blanchard vor. Sie trugen die schwere Sorge der deutschen Bevölkerung vor und forderten die Wiederherstellung des Rechtszustandes. Die Vertreter der Interalliierten Kommission machten, laut „Ostdeutscher Morgenpost“, bindende Zusagen dahin, daß die Entwaffnung in den aufständischen Gebieten durchgeführt und der Belagerungszustand in Kattowitz aufgehoben wird, sobald die Ruhe wieder hergestellt ist. Die Sicherheit soll von Deutschen und Polen wahrgenommen werden.
[…]
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 23.8.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273669/JVB_19200823_197_167758667_B1_003.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371090
Bild:
https://en.wikipedia.org/wiki/Silesian_Uprisings#/media/File:Armoured_Car_Korfanty_1920.jpg