100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Deutschlands unfreiwillige Isolierung

Dem im Februar 1920 gegründeten Völkerbund durfte Deutschland als Verliererstaat des Ersten Weltkrieges zunächst nicht beitreten. Die Weimarische Landes-Zeitung weist darauf hin, dass auch andere Großmächte wie Amerika und Sowjet-Russland dem Völkerbund fern bleiben. Allein aus wirtschaftlichen Gründen sei aber eine internationale Integration des Reiches wichtig.

Haus des Völkerbundes in Genf, 1931

Außerhalb des Völkerbundes.

Dr. Simons hat in der „Frankfurter Zeitung“ eine kurze außenpolitische Uebersicht veröffentlicht, die bei der ihm eigenen und durch sein Amt gebotenen Reserve im allgemeinen pessimistisch gehalten ist. „Hoffnungsschimmer“ erblickt er nur in Rußlands Bestreben, mit seinem westlichen Nachbarn, zu denen, trotz der heutigen territorialen Stellung wirtschaftlich immer auch Deutschland gehören wird, wirtschaftliche Beziehungen einzugehen, und in den amerikanischen Möglichkeiten.

Auch eine nicht amtlich gebundene Musterung der Weltlage zeigt, daß Deutschland gerade nur aus den Anomalien des heutigen weltpolitischen Zustandes seine einzigen Hoffnungen schöpfen kann. Drei große Staaten und Völker stehen außerhalb der offiziellen Völkerbundsfamilie, jedes aus anderen Gründen. Amerika, dringlichst eingeladen, will nicht; Deutschland, wurde, obwohl es keine Aufnahme verlangte, noch ausdrücklich abgewiesen; Rußland, als antikapitalistisch regierter Komplex, steht vollkommen abseits. Auch wenn der Genfer Völkerbund nicht die jeder wahren Völkerbundsidee hohnsprechende Ententeveranstaltung wäre, könnte er in solcher Unvollständigkeit seine eigentlichen Aufgaben nicht erfüllen. Die beiden größten Länder, die außerhalb des Völkerbundes stehen, haben in jüngster Zeit gewisse Aenderungen ihrer Politik vornehmen müssen, und beide aus wirtschaftlichen Gründen: Amerika, das Land des vorgeschrittensten Kapitalzerstörung, leiden an wirtschaftlichen Krisen. Amerika kann nur durch Wiederanknüpfung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit dem unterlegenen Gegner schwere Gefahren vermeiden, und Rußlands Lenker zwingt eine völlige wirtschaftliche Katastrophe, ihre Außenpolitik auf den Handel mit dem verhaßten Kapitalismus einzustellen. Deutschland und Italien, Länder der sozialen Krisen, stehen in der Mitte. Für beide Staaten bestand die Gefahr, jener wirtschaftlichen Hasard- und Experimentalpolitik, die im Bolschewismus verkörpert ist, zu verfallen; ein Zeichen, daß auch Italien nicht zu den Siegern des Weltkrieges gehört, trotz seiner territorialen Gewinne, und obgleich es in Versailles unter den „Siegern“ vertreten war. Auch die öffentliche Meinung Italiens hat keinerlei Siegerstimmung, und gelegentlich bricht in der italienischen Presse eine Gereiztheit gegen England und Frankreich durch, die auch in Deutschland gedruckt werden könnte. Italien ist bekanntlich der einzige der Entente nahestehende Großstaat, der freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland braucht und anstrebt: gleiche Probleme der inneren Politik schaffen parallele Schaltungen in der auswärtigen. Europa wird aber nicht eher gesund, bis Rußland und Deutschland wieder vollberechtigte und arbeitsfähige Staaten sind. Deutschland wird durch einen Friedensvertrag vom wahren Frieden getrennt, und Rußland ist aus der europäischen und aus der Weltwirtschaft hinausregiert worden. Amerika, das den Weltkrieg entschieden hat, ist aus der europäischen Politik wieder ausgetreten und hat dadurch England zum einzigen wirklichen Sieger gemacht. England arbeitet, gestützt auf Gibraltar, Malta, Konstantinopel, Danzig und die Ostseestaaten, an einer wirtschaftlichen Durchdringung Europas, Frankreich, die größte Militärmacht des Kontinents, an seiner politischen Beherrschung. Gegen beide Pläne haben sich Italien und die kleine Entente zusammengefunden.

Sicherer als an diese politischen Ungeklärtheiten können sich deutsche Hoffnungen an die Weltwirtschaftskrisen klammern, die gerade in rohstoffreichen „Siegerländern“ entstanden sind. Außerhalb des Völkerbundes zu stehen, heißt heute nur mehr, außerhalb der Entente stehen, deren politische Verbohrtheit sich durch wirtschaftliche Krisen zu rächen beginnt, und Deutschland wird nicht daran zugrunde gehen, daß es der Außenseiter der Weltwirtschaft kann es nicht bleiben, weil sonst die Weltwirtschaft selbst zugrunde geht. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, das muß immer wieder betont werden, revidieren mit unaufhaltsamer Stetigkeit einen Friedensvertrag, der sich rascher überlebt hat als die politische Blindheit seiner Urheber. So merkwürdig es auch klingt, so kann man doch sagen, daß Deutschland warten kann, bis man es ruft; und es wird heute schon gesucht, da man es als Käufer braucht. Will nun Rußland, das sich bisher freiwillig ferngehalten hat, seinerseits in die Weltwirtschaft wieder hinein, so sind aus diesen neuen Bewegungen wohl wesentlichere Ergebnisse zu erhoffen als von dem Genfer Mummenschanz. Die Bretter von Genf haben wahrhaftig nicht die Welt bedeutet, und es hätte vielleicht nicht einmal der erfreulichen Deutlichkeit Argentiniens bedurft, um erkennen zu lassen, was Schein und was Wirklichkeit ist.

Quelle:

Weimarische Landes-Zeitung vom 30.12.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkerbund#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_102-11045,_Genf,_Haus_des_V%C3%B6lkerbundrates.jpg