100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Fallstricke der internationalen Zusammenarbeit

Der im Februar 1920 gegründete Völkerbund bröckelt bereits, da Kanada androht sich finanziell zurückzuziehen. Dies stößt bei europäischen Staaten auf Kritik, andere außereuropäische Staaten stimmen Kanada zu. Außerdem beglückwünschten die USA Argentinien zu deren Austritt, da US-Präsident Harding ein „Konkurrenz-Unternehmen“ zum Völkerbund plane, das aber nicht realisiert wurde.

Mitglieder des Völkerbundes (dunkelblau) und deren Kolonien (hellblau). Mandatsgebiete in orange.

Gegen Europas Vorherrschaft.

Neue Unstimmigkeiten in Genf.

Immer mehr stellt sich die Unfähigkeit des Völkerbundes heraus, sachliche und positive Arbeit für die Allgemeinheit zu leisten. Selbst in rein technischen Fragen kommt eine Einigung nur unter größten Schwierigkeiten zustande, weil auch die Erörterungen vielfach auf das politische Gebiet hinüberspielen.

In der Mittwochsitzung der Genfer Völkerbundsversammlung handelte es sich darum, entsprechend den Bestimmungen des Völkerbundsvertrages, um die Schaffung einer Anzahl von Organisationen, die sich mit wirtschaftlichen und finanziellen Fragen, mit Problemen des Verkehrswesens und der Hygiene und ähnlichen Gebieten zu befassen haben sollen.

Hierbei kam es nun zu scharfen Angriffen des kanadischen Delegierten Rowell, der erklärte, daß Kanada sich nicht mehr finanziell an den europäischen Angelegenheiten, die vielfach zu Zänkereien geführt hätten, beteiligen könne. Er warnte davor, immer wieder neue Organisationen ins Leben zu rufen, die ähnlich wie das internationale Arbeitsamt sich zu enormen Unternehmungen auswachsen und hohe Kosten verursachen würden. Die überseeischen Staaten wären nicht in der Lage, zu allen diesen Organisationen ständige Vertreter zu entsenden, und dieses müßte schließlich dazu führen, daß

Europa die Vorherrschaft im Völkerbunde

übernehmen würde. Kanada und wahrscheinlich auch die übrigen außereuropäischen Länder würden es niemals zulassen, daß ihre Angelegenheiten von einem europäischen Komitee geregelt würden. Rowell betonte, daß Kanada während des Krieges, der eine Folge des politischen Ehrgeizes europäischer Staaten war, für Europa gewaltige Opfer gebracht habe, und daß es nicht mehr in dieser Weise fortfahren könne, den europäischen Interessen dienstbar zu sein.

Der Australier Millen und da Cunha-Brasilien unterstützten den kanadischen Vertreter, während der Franzose Honotaux und der Schweizer Ador ihnen die Bestimmungen des Völkerbundes entgegenhielten. Nach längerer Auseinandersetzung wurde die Angelegenheit an die Kommission zurückverwiesen. Sie soll sich mit den Vertretern der überseeischen Staaten in Verbindung setzen und eine „gemeinsame Formel“ suchen, die dann der Vollversammlung vorgelegt werden soll.

Hipólito Yrigoyen - arg. Präsident von 1916 bis 1922

Offizieller Glückwunsch Amerikas an Argentinien

Der Botschafter der Vereinigten Staaten in Buenos Aires sprach dem interimistischen Minister des Aeußeren Argentiniens seine Glückwünsche zum Schritt der Argentinischen Kommission in Genf aus und erklärte, daß die Vereinigten Staaten der gleichen Ansicht sein. Die Agentur Havas hat sich zuständigenortes informiert, ob zwischen diesen Ländern ein Abkommen bestehe, und hat erfahren, daß dies nicht der Fall sei. Es bestehe vielmehr nur eine Übereinstimmung der Ansichten der beiden Staaten.

In Genf gewinnt jedoch immer mehr die Ansicht die Oberhand, daß Argentiniens Rücktritt auf den Einfluss der Vereinigten Staaten zurückzuführen sei, da der neue Präsident Harding im Gegensatz zum Wilsonschen Völkerbund ein von ihm ins Auge gefaßtes Konkurrenz-Unternehmen ins Leben rufen möchte. Übrigens sollen die argentinischen Delegierten vor ihrer Abreise angedeutet haben, daß wahrscheinlich Amerika die von Argentinien verlangten Änderungen als Bedingung seines eventuellen Eintrittes in den Völkerbund durchsetzen wolle. Da nun Amerika offiziell Argentinien zu seiner Haltung beglückwünscht hat, erscheint das anfangs rätselhafte Benehmen Argentiniens ziemlich aufgeklärt.

Quelle:

Rhön-Zeitung vom 10.12.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00172673/RhoenZ_1920-1137.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00201702

 

Bilder:

https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkerbund#/media/Datei:LN_member_states_animation.gif

https://es.wikipedia.org/wiki/Hip%C3%B3lito_Yrigoyen#/media/Archivo:Museo_del_Bicentenario_-_%22Retrato_del_Presidente_Hipolito_Yrigoyen%22.jpg