100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

„Göttliche Lieder“ zu Weihnachten

Der völkische Schriftsteller Max Bewer ist für die Thüringer Tageszeitung die Stimme für Weihnachten. Gegen die vermeintliche Entchristlichung des Festes setzt Bewer ein „volkstümliches“ Bekenntnis zu Gott.

Denkmal für Max Bewer (1861-1921) in Dresden

Wo ist Gott?

Zum zukünftigen Sittenunterricht in den deutschen Schulen gehört vor allen Dingen ein grundlegendes Bekenntnis zum Guten. Wenn die Geistlichen nicht mehr in den Schulen unterrichten sollen, müssen es deutsche Volkspriester tun, und das sind in erster Linie die Dichter. In den „Göttlichen Liedern“ von Max Bewer, von denen Peter Rossegger urteilte: „Der Titel „Göttliche Lieder“ sagt viel, aber kaum zu viel“ findet sich eine rein menschliche Antwort auf die urewige Frage „Wo ist Gott?“ Das Buch ist 15 Jahre alt und hat schon im stillen vielen Herzen Kraft und Klarheit gebracht. Es ist jetzt zur rechten Zeit in einem Neudruck, 240 Seiten stark, mit einem Bildnis und einem Handspruch des Verfassers im Goethe-Verlag Leipzig, gebunden zum Preis von 7,50 M. erschienen. Es beginnt mit folgendem volkstümlich einfachem Bekenntnis zu Gott:

Alle suchen in den Sternen Gottes ewiges Angesicht. Sehn ihn nicht in allen Fernen. Und so lebt er nicht! …

Wo ist Gott, wenn nicht in mir! Wo ist Gott, wenn nicht in dir! […] An ihn droben denk ich still, Der die ganze Welt erdacht, Liebend dien ich ihm in dir, Der in jedem Wesen wacht. Prüfend suche ich in mir, Was zu seinem Bild mich macht!

Und glaubst du fest, er lebe nicht, Dort droben herrsche ewge Nacht. So frage dich beim Sonnenlicht, Ob du vielleicht die Welt gemacht, Ob du die Rosen und die Eichen, Die Adler und die Löwen schufst, Ob du aus abgrundfernen Reichen, Die Sterne durch die Wolken rufst, Ob du der Erde dunkle Gründe mit Gold und Edelsteinen stillst, Und deines Wesens Kraft und Güte, In ewiges Geheimnis hüllst … ?

Dann lenkt sich schweigend wohl dein Sinn zu einem höhren Wesen hin, Dann wird dich Ehrfurcht warm durchwallen, Und wie von selbst senkt sich Dein Haupt, Dann fühlst auch du, daß in uns Allen ein Etwas ist, das an ihn glaubt!

Doch kann ihn so dein Herz nicht fassen, Sieh prüfend andre Menschen an: Die Mutter steh, die übernächtig am Bette ihres Kindes macht, den Helden, der sich willensmächtig wirfst stolz in eine Todesschlacht, Den Denker, der beim Lampenschimmer der Sterne Lauf in Zahlen zwingt, Den Dichter, der im engen Zimmer der ganzen Menschheit Schönheit bringt. Den Vater, dem sein Kind so teuer, daß er das Brot am Mund sich kürzt, Den Braven, der in Rauch und Feuer zur Rettung seines Nachbarn stürzt! Empfindest du bewundrungsbang in ihnen keinen Gottesdrang? Und hilfst du Einem nur von Allen, Ob Gott du selbst entfremdet schienst, Stehst du schon in des Himmels Hallen, Denn Guten-Dienst ist – Gottes-Dienst!

Und fühlst du Gott nicht in den andern, Laß zu dir selbst die Blicke wandern: Es ordnen wie zu einem Tempel die Kräfte sich in deinem Bau, Sie deiner Stirne reinen Stempel, Der Träne dunklen Seelentau, Das Blut, das Tag und Nacht durcheilet, Das Herz mit einer Purpurflut, Das Auge, das umträumt von Wimpern, Millionen Himmelsblicke tut … Sind das in dir nicht Rätsel-Wunder, Die stündlich Gottes Zeugen sind? Glaubst du, dies alles sei geschaffen, Daß es zuletzt in Sand zerrinnt? Lebt wohl Vernunft in einem Meister, Der so viel Kunst umsonst beginnt?

Gott hat dir diesen Bau gegeben, Um einst vollendeter zu sein, Mit diesen Mitteln einem Leben, Von höhrem Werte dich zu weihn – Und folgst du einem Triebe nur, Der mehr als dein Gemeines ist, So bist du schon auf Gottes Spur, Weil du in dir sein … Diener bist!

An ihn droben denk ich still, Der die ganze Welt erdacht, Liebend dien ich ihm in dir, Der in jedem Wesen wacht, Prüfend suche ich in mir, Was zu seinem Bild mich macht! Kann so ihn sehen jede Nacht, Im Glanz der Himmelskerzen, Kann so ihm dienen jeden Tag, In Lindrung anderer Schmerzen, Kann so ihm nahen Tag und Nacht, Mich bessernd selbst im Herzen!

Quelle:

Thüringer Tageszeitung vom 25.12.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Bewer#/media/Datei:Max_Bewer.jpg