100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Nachruf auf zwei MdR

Mit Karl Legien (SPD) und Adolf Roeren (Zentrum) verstarben Ende Dezember 1920 zwei Reichstagsabgeordnete. Für das Jenaer Volksblatt ist dies Anlass für eine kritische Rückbesinnung auf die politischen Leistungen der Männer im Kaiserreich.

Denkmal für Karl Legien (1861-1920) in Berlin-Kreuzberg

Zum Tode Karl Legiens.

Aus Anlaß des Ablebens des deutschen Gewerkschaftsführers Legien ist es von Wert seine Charakteristik in dem Buche „Köpfe der Gegenwart“ von Johannes Fischart (Erich Dombrowski) nachzulesen. Es heißt über Karl Legien in dem bei Oesterheld & Co. Berlin erschienenen Buche u. a.:

Legien kennt allerdings die Massenpsyche wie kein anderer. Verhältnismäßig jung, mit 29 Jahren, trat er an die Spitze der Generalkommission der freien Gewerkschaften und hat in all den Jahren auf diesem Rieseninstrument geradezu meisterhaft zu spielen gewußt. Ein kaum mittelgroßer Mann. Nachlässig in Gang und Haltung. Stark ergrautes Haupt- und Schnurrbarthaar. 1861 zu Marienburg in Westpreußen geboren. In Thorn, das heute polnisch ist, zur Bürgerschule gegangen. Daselbst auch das Drechslerhandwerk gelernt. Als Geselle große Teile Deutschlands durchwandert und durchreist. Drei Jahre in Altona beim Militär gedient. Seit 1886, in den Zeiten der Sozialistenverfolgung, in der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung tätig. Voran bei den Drechslern. 1890, nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes, an die Spitze der damals gegründeten Generalkommission der Gewerkschaften gerufen. Immer Reformist. Praktischer Arbeiterpolitiker. Erst in zweiter Linie Sozialdemokrat. Die Gewerkschaften wuchsen unter seinen Händen. 48 Zentralverbände der einzelnen Berufsgruppen faßte die Generalkommission schließlich zusammen. Von den Asphalteuren herunter, dem Alphabet nach, bis zu den Zivilmusikern. Schon 1914 betrugen die Jahreseinnahmen über 70 Millionen Mark. In dreißig Jahren ist man, Schritt für Schritt, weitergekommen. … Schon seit 1903 war er Vorsitzender der internationalen Vereinigung der Gewerkschaften, nahm, 1913, an den Verhandlungen der interparlamentarischen Union in Basel teil, und versuchte unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges, vor allem mit den Franzosen eine Verständigung herbeizuführen. Umsonst! Auch seine Bemühungen, mitten in dem Waffengeklirr wieder Fäden anzuknüpfen, mißlangen … Ein Heerführer. Ein Taktiker. Ein Praktiker. Ein Einsichtiger. Aber in allem doch ein Klassenkämpfer.

Karikatur des Simplicissimus von 1900

Adolf Roeren †

Der Zentrumsabgeordnete Roeren, der sowohl dem früheren Reichstage wie dem preußischen Landtage bis zum Jahre 1912 angehörte, ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Roeren, dessen Name jetzt fast vergessen ist, gehörte während seiner parlamentarischen Laufbahn zu den meistgenannten Führern des Zentrums. Er war Führer der sogenannten „Berliner Richtung“, die den konfessionell katholischen Charakter scharf betonte und die Bestrebungen aus dem Zentrum eine politische Partei, wenn auch ausgesprochen christlicher und kirchlicher Richtung, zu machen, ablehnte. Seine Politik scheiterte an dem Einfluß der Arbeiterführer Giesberts und Stegerwald, die es nicht dulden konnten, daß den christlichen Gewerkschaften ein streng konfessioneller Charakter aufgedrückt wurde. Nach seiner Niederlage legte Roeren seine Mandate nieder. Nach seiner Niederlage legte Roeren seine Mandate nieder. In der weiteren Politik hat Roeren dadurch eine Rolle gespielt, daß er es war, gegen den sich Dernburg als Staatssekretär der Kolonien bei seiner großen Auseinandersetzung wandte, als er die „Eiterbeule aufstach“. Er warf Roeren vor, daß er seinen parlamentarischen Einfluß sogar auf die Rechtsprechung ausdehnen wolle. Der Zusammenstoß führte bekanntlich seinerzeit im weiteren Verlauf zur Auflösung des Reichstages und zu dem mißglückten Experiment der „Bülowschen Blockpolitik“, der „Paarung“ zwischen Konservativen und Fortschrittlern. Im Volke war Roeren wegen seiner Sittlichkeitsschnüffelei und seines Kampfes gegen gewisse Schriften bekannt geworden. Er kann als Vater der sogenannten „Lex-Heinze“ gelten, die wegen ihrer überspannten Bestimmungen vom Reichstage verworfen wurde. Heinze war ein berüchtigter Zuhälter. Auf Grund des Verfahrens gegen ihn glaubte man neue Strafbestimmungen nicht umgehen zu können und so ereignete sich der gewiß einzig dastehende Fall, daß eine übel beleumdete Persönlichkeit ganz allgemein den Namen für eine Gesetzesvorlage abgab.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 28.12.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273776/JVB_19201228_304_167758667_B1_001.tif

 

Bilder:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Legien#/media/Datei:Berlin-Kreuzberg_-_Denkmal_Carl_Legien_2.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Lex_Heinze#/media/Datei:Zur_lex_Heinze_-_F._v._Rezni%C4%8Dek_1900.png