Neuer Anstoß für den Feminismus
Ende November gründete sich der Verband Thüringer Frauenvereine. Wie dieser Bericht des Jenaer Volksblattes zeigt, wurden aus diesem Anlass zentrale Fragen der damaligen Frauenbewegung diskutiert.
Frauenfragen in Thüringen.
Der Verband Mitteldeutscher Frauenvereine hielt am 27. und 28. November eine außerordentliche Generalversammlung zum Zwecke der Neuorganisation des Verbandes im Einklang mit den veränderten politischen Verhältnissen und im Anschluß an die auf der Hamburger Tagung des Bundes Deutscher Frauenvereine 1919 beschlossene Ausgestaltung der Verbandsorganisation des Bundes ab. Deshalb verwandelte sich der Mitteldeutsche Verband in einen „Verband Thüringer Frauenvereine“, aus dem natürlich alle die Vereine ausscheiden mußten, die nicht zu dem „politischen Thüringen gehören. Andererseits soll angestrebt werden, möglichst alle Frauenvereine Thüringens zum Anschluß an den Verband zu gewinnen, denn es ist jetzt mehr denn je nötig, daß die Frauen sich zusammenschließen zum Vertreten ihrer gemeinsamen Angelegenheiten. An Stelle der im August 1917 verstorbenen ersten Vorsitzenden, Fräulein Elisabeth Müller aus Gotha, der von der geschäftsführenden zweiten Vorsitzenden, Fräulein Dr. [Selma] v. Lengefeld, ein warmer Nachruf gewidmet wurde, fand sich Frau Helene Glaue-Jena bereit, den Vorsitz zu übernehmen.
Die beiden öffentlichen Versammlungen behandelten Fragen von dem brennendsten Interesse. Frau Gerhardt-Altenburg, die Vorsitzende des Verbandes Thüringer Hausfrauenvereine sprach über:
„Hausschwesternschaft“.
Frau Gerhardt zog zuerst einen Vergleich zwischen der Lage der Frauen in der Hauswirtschaft vor und nach dem Kriege. Aus den sich jetzt für die Hausfrauen ergebenden oft unüberwindlichen Schwierigkeiten heraus hat sich die Notwendigkeit der „Hausschwesterschaft“ ergeben. Zuerst entstand in Güstrow in Mecklenburg der „Heimchenbund“, aber in Altenburg hat man die Sache doch etwas anders gemacht. Man hat dort eine Schwester fest angestellt, die herumgeschickt wird, neben ihr stehen noch Gelegenheitsschwestern, Haustöchter oder Frauen, die helfen wollen. Die Bezahlung geht immer an den Verein und von diesem werden die Hilfskräfte entlohnt. Die Hilfe soll nicht eine dauernde, sondern eine vorübergehende sein; die Hilfskraft ist nicht eine Untergebene, sondern eine freiwillige Nothilfe, die demgemäß zu behandeln ist, aber sich gern jeder Arbeit unterzieht, die auch die Hausfrau nicht scheut. Sie können sich für alle häuslichen Arbeiten, einschließlich Nähen und Waschen, oder auch nur für das eine oder andere verpflichten. Außerdem sind in Altenburg die Schwestern auch schon oft stundenweise eingesprungen, wenn die Mutter oder beide Eltern eine Gesellschaft, Vorträge usw. besuchen wollten und die Kinder nicht allein bleiben sollten. In Altenburg hat sich die Sache so bewährt, daß der Versuch gemacht werden soll, dort eine Zentrale für ganz Thüringen zu errichten und einen Austausch für die verschiedenen Orte in die Wege zu leiten, denn manche Familie würde es vorziehen, nicht eine Schwester aus dem eigenen Orte zu haben. Manche Familie würde auch ihre Tochter gern an einen andern Ort eine Zeitlang schicken, weil es sehr vielen doch jetzt nicht mehr möglich ist, das teure Pensionsjahr zu zahlen. Durch die Beteiligung der gebildeten Kreise an jeglicher, auch der gröbsten Hausarbeit, die wir sonst nicht leisteten, weil „wir es nicht nötig hatten“, wird die Bewertung der Hausarbeit eine höhere werden, und es ist zu hoffen, daß das wieder ein stärkeres Angebot an Hausangestellten herbeiführen könnte, wodurch dann wieder eine größere Zahl von Frauen eine regelrechte Vorbildung für ihren zukünftigen Hausfrauenberuf erhalten würden.
In der Aussprache, die sehr lebhaft war, wurden alle Anregungen freudig begrüßt und die Frauen aus den verschiedenen Thüringer Orten werden bestrebt sein, überall die gleiche segensreiche Einrichtung ins Leben zu rufen, die allen Bevölkerungskreisen ohne Unterschied zugute kommen kann.
Dann folgte der Vortrag von Dr. Marie Schulz-Gera über:
„Weibliche Schöffen“.
Die Rednerin betonte, daß bisher das Gebiet der richterlichen Tätigkeit den Frauen verschlossen gewesen sei. Wenn man es ihnen öffnete, würden wohl nur wenige Frauen in der Lage sein, sich dem Berufsrichteramt zuzuwenden, während das Volksrichtertum für weitere Frauenkreise in Betracht käme. Nach einem Ueberblick über die Entwicklung der Schöffengerichte besprach die Rednerin die Gründe, die gegen die Beteiligung der Frauen als Schöffen und Geschworene vorgebracht werden, zeigte dann an Beispielen, welche Wirkung die Hinzuziehung von Frauen besonders bei den Jugendgerichten, aber auch in anderen Fällen für die Allgemeinheit haben könnte und ein wie wertvoller Gewinn den Frauen selbst aus ihrer Arbeit erwachsen könnte. Sie kritisierte darauf den Entwurf zur Abänderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom Dezember 1919, der die Frauen wohl als Schöffen und Geschworene zulasse, aber nicht unter den gleichen Bedingungen wie die Männer, und stellte ihm einen Gegenentwurf von Frauenseite gegenüber. Zum Schluß forderte sie die Anwesenden auf, allenthalben die Frauen auf diese künftige Tätigkeit hinzuweisen und sie zu veranlassen, die Gelegenheit zur Einführung in Rechtsfragen, wie sie manche Volkshochschulkurse böten, eifrig zu benutzen.
Der Vortrag rief eine rege Aussprache hervor, in der die Frage von den verschiedensten Seiten beleuchtet wurde. Schließlich beschloß man, durch eine Eingabe die Hilfe der Thüringer Regierung für die Durchsetzung der Frauenwünsche anzurufen.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 13.12.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273764/JVB_19201213_292_167758667_Be_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371185
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenbewegung#/media/Datei:Entwicklung_Frauenbewegung_Feminismus.jpg