100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Oberschlesien bleibt unser!

Auch das linksliberale Jenaer Volksblatt beteiligt sich an der nationalistisch aufgeheizten Pressedebatte rund um das im Frühjahr bevorstehende Referendum in Oberschlesien. In diesem Artikel wird das deutsche Überlegenheitsgefühl gegenüber Polen deutlich, deren Willen zu guter Nachbarschaftlichkeit man nicht glaubt.

Karikatur des Simplicissimus

Der polnische Nachbar.

Von Gerhard Ammin, Berlin.

Man kann in der Geschichte Polens so weit zurückgehen, wie man will, man stößt niemals auf Zeiten, wo Polen Ruhe gehalten hat. Seine Geschichte ist eine der kriegerischsten Europas. Darin berührt es sich, wie in so vielem, mit Frankreich, das gleichfalls immer Eroberungspolitik getrieben hat. Bei Polen kommt allerdings als Entschuldigungsgrund hinzu, daß seine geographische Lage ihm in vergangenen Tagen die Waffen in die Hand gedrückt hat. In einer Zeit, in der es Verkehrs- und Wirtschaftsabkommen nicht gab, war jeder Staat darauf angewiesen, sich die für seinen Handel nötigen Straßen zu erobern, vor allem natürlich die Zugänge zum Meere. Darin aber gerade war Polen besonders ungünstig gelagert. Es gab jedoch noch einen zweiten Grund, der den Staat der Piasten zu kriegerischen Abenteuern zwang: die Zerrüttung im Innern.

Trotzdem ist Polen nicht, wie fast alle anderen Staaten, die aus der Geschichte ausgelöscht wurden, militärisch erlegen. Es bedurfte bei den drei Teilungen Polens seiner blutigen Kriegshandlungen, die Drohung mit den Waffen genügte. Polen ging an der Unordnung seiner Verwaltung, an der Kläglichkeit seines Parlamentes zugrunde. Als Preußen und Rußland sich über eine Aufteilung verständigten, war es bei beiden eine gewisse Notwehr, die sie zu diesem Entschluß trieb. Notwehr, vielleicht nicht im militärischen Sinne, aber im moralischen und wirtschaftlichen. Polen bildete eine Gefahr, nachdem es lebensunfähig geworden war. Oesterreich hat sich, wenn auch nur zögernd und ungern, schließlich an dem Vorgehen der beiden Nachbarn beteiligt und Galizien an sich genommen. Uebrigens nicht zu seinem Vorteil. Denn Galizien wurde nicht germanisiert, wohl aber Oesterreich polonisiert. Der Polenklub in Krakau hat nur allzu häufig die Geschicke der Donaumonarchie bestimmt. Preußen ist seines polnischen Besitzes nie froh geworden, obwohl es dem Lande eine ungeahnte Blüte verschaffte. Selbst Rußland, für das Polen ja nur einen kleinen Teil seines Besitzes ausmacht, und das ihm blutsverwandt war, hat mit dem Fanatismus der Polen, dem religiösen wie dem nationalen, genug zu tun gehabt.

Daß die Polen nach dem Untergange ihres nationalen Staates nicht Ruhe gegeben haben, läßt sich menschlich begreifen. Eine starke nationale Kraft und Begeisterungsfähigkeit steckt zweifellos in diesem Volk. Darum ähneln sie den Iren und man könnte sich an und für sich mit dem Wiedererstehen ihres Reiches zufrieden geben, wenn sie nur auch eine staatenbildende und staatenerhaltende besäßen. Davon aber ist keine Rede. Ihrem großen Wollen entspricht ein allzu kleines Können. Deshalb wird die Prophezeiung Bismarcks aus den Gedanken und Erinnerungen in vermutlich nicht allzu langer Zeit in Erfüllung gehen, wonach der Wiederrichtung des polnischen Reiches die vierte Teilung folgen werde.

Als Angehörige fremder Staaten sind die Polen immer eine Gefahr gewesen, zum Teil auch, weil man ihnen international stets ein großes Mitleid entgegenbrachte; sie galten als die Bedrückten schlechthin, dabei gibt es kein Volk, das selbst so gern unterdrückt, wie die Polen, vorausgesetzt, daß sie die Macht dazu haben. In ihrem russischen Teil haben sie den Deutschen und den Juden das Leben zur Hölle gemacht, weil sie wußten, daß man in dieser Richtung in Petersburg ein großes Verzeihen bereit hatte. In Galizien aber haben sie die Ruthenen [d. i. ukrainisch-sprachige Katholiken, Anm.] derartig mißhandelt, daß dieses kaisertreue Volk im Weltkriege in Massen Verrat an Oesterreich verübte.

Seitdem die Polen die Oberhand gewonnen haben und von Frankreich unterstützt uns nach Herzenslust schiknieren dürfen, begreifen wird, mit welcher Erbitterung die Nachbarstaaten vor 150 und mehr Jahren auf Polen geblickt haben. Fast kein Tag vergeht, wo wir uns nicht über Vertragsverletzungen zu beklagen haben. Aber es geht uns nicht allein so. In einer amtlichen Meldung der Litauischen Telegraphen-Agentur wird gegen die Polen der Vorwurf erhoben, daß sie jeden Tag den Waffenstillstand brechen. Auch die ihnen sonst durch Abstammung und Kultur nahestehenden slawischen Völker des alten Oesterreichs haben sich mit einer deutschen Spitze gegen Polen zusammengetan. Die sogenannte kleine Entente zwischen der Tschecho-Slowakei, Jugoslawien und Rumänien ist unter anderem auch gegen polnischen Uebergriffe gegründet worden.

Allmählich dämmert in Polen hier und da die Erkenntnis, daß man sich etwas ruhiger betragen muß, wenn man nicht das mühsam gewonnene Dasein wieder aufs Spiel setzen will. Der „Kurjer Polski“ vom 10. Dezember schreibt: „Wir müssen vor allem lernen, Nachbar zu sein. Nach Ordnung unserer nachkrieglichen Prozesse mit Deutschland, nach einiger Befestigung der Verhältnisse in Rußland werden wir mit diesen beiden Staaten nachbarliche Beziehungen unterhalten müssen – und wir verstehen nicht, Nachbar zu sein. Das, was wir während unserer Unfreiheit ausgearbeitet haben, was zu jenen Zeiten unsere Kraft bedeutete und uns ermöglicht hat, die Unfreiheit zu überdauern: die Kunst der Absonderung von allem Fremden, ist in unserem gegenwärtigen Staatsleben die Quelle unserer Schwäche. Wir haben die Kunst des Nachbarseins verlernt.“

Fest auf dem Boden des Versailler Friedensvertrages stehend, den wir erfüllen wollen, soweit es irgend möglich ist, haben wir uns auch mit der Existenz Polens abgefunden. Wir sind bereit, und haben durch eine ganze Reihe von Verhandlungen das bewiesen, gute Nachbarschaft mit den Polen zu halten, nur darf unsere Geduld nicht auf eine zu harte Probe gestellt werden. Was sich jetzt in Oberschlesien abspielt, schafft aber unhaltbare Zustände. Schon an und für sich ist die Abstimmung unerträglich, denn dieses seinem innersten Wesen nach deutsche Land mußte nach Wilsons 14 Punkten ohne weiteres beim deutschen Mutterlande bleiben. Aber die Verhetzung, die von polnischer Seite jetzt dort getrieben wird, und die dazu bestimmt ist, das Ergebnis der Abstimmung zu verfälschen, gefährdet für immer die deutsch-polnischen Beziehungen. Man soll es ganz ruhig aussprechen: Kommt Oberschlesien an Polen, so ist an eine wirkliche Aussöhnung beider Staaten nicht zu denken. Schon aus dem einfachen Grunde, weil Deutschland ohne Oberschlesien nicht leben kann.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 27.12.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273775/JVB_19201227_303_167758667_B2_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371196

 

Bild:

http://www.simplicissimus.info/uploads/tx_lombkswjournaldb/pdf/1/25/25_51.pdf