Rassistischer Antisemitismus
Der Deutsche aus Sondershausen beschäftigt sich weiter mit dem Fall des Leitartiklers „Werther“. Den Vorwurf der Judenfeindschaft weist die Zeitung mit fadenscheinigen Gründen ab. So habe man ja gar nichts gegen das Judentum als Religion, sondern nur etwas dagegen, dass sich „Volksfremde“ in deutsche Angelegenheiten einmischen würden. Die rassistische Dimension des Antisemitismus, die hier sichtbar wird, bildete sich bereits am Ende des 19 Jahrhunderts aus.
Was wir wollen.
Zum Fall „Werther“ Wolkiser.
Es ist sonderbar, wenn man dem deutschen Arbeitsmann sagt: werde vernünftig, lasse dich als ernst-denkender, erfahrener Mann des werktätigen Lebens von einem unreifen Juden nicht an der Nase herum führen, glaube nicht an die Echtheit der schönen Redensarten, glaube vielmehr, daß noch immer und überall deine jüdischen Führer nur aus Luft am Hetzen und Ränkespinnen dir Versprechungen machen, glaube endlich daran, daß ein politisch tätiger Jude sich nie in deine gute deutsche Seele hineinversetzen kann! Wenn man das dem deutschen Arbeiter sagt, dann wird man als „hetzerischer antisemitischer Fanatiker“ hingestellt, dann bekommt man gesagt: wie gemein bist du, daß du dich an dem religiösen Bekenntnis eines jungen Mannes vergreifst, „das jedem heilig sein sollte“. (!!) Sonderbar, höchst sonderbar, daß Arbeiter sich für die Unantastbarkeit des Glaubens ihrer verschlagenen jüdischen Führer einsetzen, wo sie doch für den Glauben der Christen nur Spott und Hohn haben und ihn am liebsten ausgerottet sähen! Wie wird doch gegen die christliche Kirche gehetzt, wie werden die Pfarrer verleumdet, denen der notdürftigste Unterhalt, der für den bescheidensten Arbeiter zu kümmerlich wäre, fehlt. Wagt aber jemand, ein Wert gegen die jüdische Volksverhetzung, so geht das Gezeter los, die „Heiligkeit“ der Religion (natürlich nur der jüdischen?) muß herhalten und der für sein Volkstum Eintretende wird zum „Judenfresser“ gestempelt. Als ob schon jemals ein deutschfühlender Mensch, der den unheilvollen Einfluß der Juden im parteipolitischen Leben mit ganzem, glühenden Herzen bekämpft, die Religion der Juden angetastet hätte! Was ein Jude in seiner Synagoge macht, dagegen ist noch nie ein Wort gesagt oder geschrieben worden. Es wäre weit besser um Deutschland und vor allem um die verblendete deutsche Arbeiterschaft bestellt, wenn die vielen, allzuvielen politisch tätigen Juden lediglich in ihrem Gotteshaus beten würden. Aber hier haben wir des Pudels Kern von der ingrimmigen Empörung der Arbeiter, wenn sie ihre vergötterten jüdischen Führer angegriffen sehen. Diese wußten ihnen zu suggerieren, daß sie die armen, in ihrem Glauben blutig verfolgten Kinder Israels seien und das erregt bei deutschen Arbeitern, die alles für bare Münze nehmen, was ihnen maulgewandte Volksredner erzählen, das berühmte Gerechtigkeitsgefühl: Wir redlichen, strebsamen deutschen Arbeiter können nicht zugeben und dulden, daß die Juden in ihrer Religion angegriffen und bekämpft werden. Sie hätten recht, wenn die Religion der Grund der Bekämpfung wäre; nichts ist jedoch irreführender, als diese Behauptung.
Und so ist auch unser Angriff gegen den jüdischen Schüler Wolkiser nicht seiner Religion wegen erfolgt, sondern lediglich deswegen, weil er als Jude, noch dazu als 19jähriger, mit einem ganz anders gearteten Seelenleben, als es der Deutsche hat, nicht berufen ist, für Deutsche mit dem Brustton der Ueberzeugung von Weltanschauungen zu schreiben, die zu erfassen und zu umfassen er wirklich noch nicht die nötige Reife hat. Und wenn ferner diese Weltanschauung darin besteht, den Umsturz zu predigen, d. h. der Herrschaft der Minderheit das Wort zu reden, so hat das Bürgertum und jedes das Bürgertum vertretende Blatt die Pflicht, dagegen Front zu machen und zwar sehr energisch, der Diktatur des Proletariats müssen alle die entgegenarbeiten, die für Ordnung und Gedeihen sind, die an die Not von Kranken und Schwachen, an das Sattwerden ihrer Kinder denken. Und zu denen gehören Gott sei Dank auch sehr, sehr viele Arbeiter, die es mit uns begrüßen, daß wir einen Arbeiterführer bekämpfen, der zur Diktatur nach Moskauer und Apfelbaum’schen Muster hetzt. Im Kampf um die also geschilderte Betätigung des Judentums, kann es der für das deutsche Wesen mitfühlende Kämpfer nicht verhindern, denjenigen unter den Juden wehe zu tun, die in ihrem ganzen Leben den Beweis einer tadellosen Haltung und Gesinnung gegeben haben. Mit den wenig freundlichen Worten gegen die jüdischen Volksverderber sind auch keineswegs sie gemeint. Mit diesen Ausführungen dürfte in groben Zügen das gesagt sein, was unseren Angriff gegen die Bevormundung deutscher Arbeiter durch einen jüdischen Jüngling erklärt.
[…]
Quelle:
Der Deutsche vom 4.12.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_1219.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307436
Bild:
https://en.wikipedia.org/wiki/Antisemitism#/media/File:Bookcover-1880-Marr-German_uber_Juden.jpg