100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Schulung oder Schund?

Die 20er Jahre sehen den Durchbruch des Kinos als neuer Kunst- und Unterhaltungsform. Nach den USA verfügt das damalige Deutschland über die meisten Kinosäle weltweit. Was das Kino jedoch für die ländlichen Regionen bedeutet, diskutiert dieser Artikel aus der Verbandszeitung des Thüringer Bauernbundes.

Kinosaal in Berlin, 1924

Das Kino auf dem Lande.

Man mag sich zum Film stellen, wie man will, man kommt doch nicht an der Erkenntnis vorbei, daß der Film als Kulturträger eine von Tag zu Tag wachsende Bedeutung erhält. Von unbegrenzter Entwicklungsmöglichkeit für alle Zwecke auf dem Gebiete der Bildung, Belehrung und Unterhaltung stellt er eine Macht dar, die den Vergleich mit der Presse wohl aushält. Auch für das Land erhält der Film ständig wachsende Bedeutung. Mit Recht fordert der Landbewohner nach dem ermüdenden Gleichmaß der täglichen Pflichten ein wenig Abwechslung und Anregung, wie sie dem Städter in so reichem Maße geboten wird.

Man darf sich jedoch der Tatsache nicht verschließen, daß im Film auch Gefahren liegen. Zur Genüge bekannt sind jene Schund- und Sensationsfilms, die nur auf die niedrigsten Instinkte des Beschauers wirken sollen. Alle diese Aufklärungs-, Detektiv- und Sensationsfilme mit ihrer zersetzenden Wirkung müßten dem Lande der unverdorbenen Landbevölkerung ferngehalten werden. Trotzdem ist es eine bekannte Tatsache, daß gewissenlose Unternehmer Filme, welche in den Städten dem sichtenden Auge der Zensur nicht standgehalten haben, auf dem Lande für ihre kein auf das Erwerbliche gestellten Zwecke auszunützen versuchen.

Es ist daher notwendig, den Schmutz- und Schundfilm dadurch zu bekämpfen, daß dem nützlichen und hochwertigen Film die Wege geebnet werden und dem guten Geschmack zum Sieg verholfen wird. Gerade der Film bietet die Möglichkeiten, der Landbevölkerung den Sinn für Naturschönheiten und die Liebe zur eigenen Scholle zu stärken. Bilder aus Deutschlands ruhmvoller Vergangenheit sollen die Schwere der heutigen Zeitverhältnisse vergessen lassen und zur Mitarbeit am Wiederaufbau des Vaterlandes anregen. Belehrende Filme ermöglichen es, der Landbevölkerung die Neuerungen in Wissenschaft und Technik zu vermitteln und neben allem diesen soll ein gesunder Unterhaltungsstoff dem natürlichen Sinn des Menschen für Zerstreuung und Anregung Rechnung tragen. Auf diese Art und Weise würde es möglich sein, mit Erfolg der Landflucht und Langeweile entgegen zu steuern, dem Abwandern in die großen Städte vorzubeugen und so alle Schädigungen unseres Vaterlandes zu vermeiden, die dadurch entstehen, daß das Land den größeren Städten gegenüber benachteiligt ist.

In Erkenntnis dieser Tatsache hat es der Thüringer Bauernbund, Bezirk Eisenach und Eisenacher Oberland unternommen in den Ortschaften seines Kreises Wanderlichtspiele zu veranstalten. Er wird hierbei unterstützt durch eine Berliner Firma, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, das Land mit gutem Film- und Kinomaterial zu versorgen. Wir wünschen dem Thüringer Bauernbund Eisenach, der in der Frage des Landlichtspielwesens als Pionier moderner Entwicklung auftritt, einen vollen Erfolg und erwarten, daß sein Vorgehen auch in anderen Kreisen Nachahmung finden wird. Die Landlichtspielbetriebe, G. m. b. H., Berlin SW., Zimmerstraße 72/74, denen die technische Durchführung der eben erwähnten Wanderlichtspiele übertragen ist, sind gern bereit, auf alle Fragen des Landlichtspielwesens Antwort zu erteilen.

Quelle:

Der Thüringer Landbund vom 11.12.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Kinos#/media/Datei:Mitte_Ufa-Lichtspiele_Rand.jpg