100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Uneinigkeit im bürgerlichen Lager

Die rechtsgerichtete Thüringer Tageszeitung kritisiert die Politiker der DDP, deren kompromissbereite Haltung in Richtung der SPD für die Spaltung der bürgerlichen Parteilandschaft verantwortlich gemacht wird. Denn nur ein geeintes Bürgertum könne der „Klassenherrschaft“ der Sozialisten entgegentreten.

Wahlwerbung der DDP

Die Parteien in Thüringen im Wandel der Zeiten.

Wenn man zurückblickt auf das nun zu Ende gehende Kalenderjahr, so wird man finden, daß sich innerhalb der politischen Parteien erheblich viel geändert hat. Außerordentlich viel an Bedeutung im politischen Leben verlor die Deutsch-demokratische Partei. Das wird wohl ihr eifrigster Verfechter nicht zu bestreiten wagen, nicht nur an Wähler- und Anhängerschaft hat sie soviel verloren, auch ihre Idee hat ihre Werbekraft vollkommen eingebüßt. Einstmals wurde sie ja gegründet, um die Brücke zu schlagen zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft. Und als diese Parole ausgegeben wurde in den Tagen der Novemberrevolution und den nachfolgenden Monaten, also in Zeiten, wo das Proletariat die Zügel für immer an sich gerissen zu haben schien, da strömten viele Bürger ins Lager der Demokraten, weil sie glaubten, die demokratische Idee sei stark genug, um Wesensunterschiede zwischen Volksschichten vollkommen verwischen zu können und weil sie ferner sich in der Hoffnung wiegte, der Arbeiter oder Arbeiterführer wolle die internationale Verbrüderungsseligkeit, die er dauernd proklamierte, auch im eigenen Vaterland wahr machen. Aber weit gefehlt! Eher trinkt ein Proletarier mit einem indischen Maharadscha Schmollis, ehe er zugibt, daß auch der deutsche Offizier oder Bürger Berechtigung hat, zu existieren. Vor dem Ausland im Staub kriechen und Speichellecker spielen, daheim aber die Teller zerschlagen im deutschen Vaterland, das ist klassenbewußt! Recht in dieser Richtung liegt das, was Noske in seinem Buche „Von Kiel bis Kapp“, in dem er bekanntlich seinen Genossen soviel ungeschminkte Wahrheiten gesagt hat, so daß sie ihn am liebsten aus der Partei entfernt hätten, über die Helden des Wilhelmshavener Soldatenrates schreibt: „Am Abend des 11. Dezember kam Wilhelmshavener Besuch an. Die Mitglieder des dortigen Soldatenrats, die als Begleiter für die englischen Offiziere gedient hatten, waren von dieser Rolle dermaßen entzückt, daß sie darauf brannten, sie in Kiel weiterspielen zu dürfen. Strahlend vor Selbstgefälligkeit berichteten sie über jedes Wort, das an sie gerichtet worden war.“

Jedenfalls die Demokraten waren schlechte Psychologen, soweit sie nicht überhaupt bloß urteilslose Masse waren, weltfremde Schwärmer, und das, was an Energie unter ihrer Führerschaft vorhanden war, sieht sich heute einer unverhüllten Pleite gegenübergestellt. Man erwägt schon, ob nicht der Name Fortschrittspartei in irgendeiner Form wieder aufgenommen werden soll. An sich ein recht bedenkliches Zeichen, wenn man es schaffen will mit dem Namen, dem äußeren Behang. Doch verlassen wir hiermit die Deutsch-demokratische Partei! Was sich an ihr auswirken muß, wird sich auswirken, daran ändern auch unsere besonderen Thüringer Verhältnisse nichts, wo den Demokraten, was Besetzung von Regierungsposten anlangt, ein gewisser „Konjunkturgewinn“ zufiel. Auch im Politischen  wird es noch zu einem Valutaausgleich kommen, und dann fällt auch diese scheinbare Bevorzugung, die dem „Zünglein an der Waage“ noch wurde, endgültig weg.

[…]

Doch nun zu den bürgerlichen Parteien! Etwas für Thüringen Eigenartiges ist es, daß hier die Bauernbewegung, geführt von zielbewußten Männern, die zum Teil aus der Bauernschaft selbst hervorgegangen sind, sich parteipolitisch selbstständig machte, und dadurch wohl mittelbar einen Zusammenschluß des Bürgertums gefördert hat, wie er durch die vereinigte Rechtsfraktion im Thüringer Landtag zum Ausdruck gebracht wird. Einheit des Bürgertums und Bauerntums muß auch die Losung in der Zukunft sein. Durch das fast vollkommene Verschwinden des demokratischen „Deutschen Bauernbundes“ ist nach außenhin dargetan, daß unter den Landwirten der Tag völliger Einheit nicht mehr fern ist. Im Bürgertum bekämpfen sich noch Teile derselben Wirtschaftsgruppen. Auseinandersetzungen gibt es z. B. heftiger Art unter den Handwerkern zwischen Thüringen und der Berliner Zentrale. Doch hoffentlich sind das alles nur Krisen und Kinderkrankheiten, wie sie alle jungen, großen, politischen und wirtschaftspolitischen Organisationen haben durchmachen müssen, und hoffentlich ist auch im städtischen Bürgertum der Tag der Einheit nicht mehr fern! Denn erst dann wird den sozialistischen Radikalisten die Erkenntnis werden, daß ihre Parole vom Klassenkampf und Klassenhaß Narretei ist, daß sich das Bürgertum nicht als überflüssiges Anhängsel im Staats- und Wirtschaftsleben mit einer verächtlichen Handbewegung abtun läßt, und dann erst auf dem Boden gegenseitiger Anerkennung kann es zum Ausdruck kommen, den Deutschland mehr als irgendein Land der Erde so dringend bedarf!

Quelle:

Thüringer Tageszeitung vom 22.12.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Demokratische_Partei#/media/Datei:DDP-Wahlkampf_1929.jpg