„Who fears to speak of easter week“
Nicht nur die Rechte und die Mitte, sondern auch die Linke in Deutschland feiert den Irischen Unabhängigkeitskampf, der mit dem Osteraufstand 1916 began. Die (inzwischen) kommunistische Neue Zeitung aus Jena deutet den gewaltsamen Kampf der Iren gegen die englische Bourgeoisie als Teil des weltweiten, vermeintlich unaufhaltsamen Befreiungskampfes des Proletariats.
Der Bürgerkrieg in England.
Die Verhältnisse in England spitzen sich rapide zu. Während die englische Politik im Orient Mißerfolg auf Mißerfolg erntet, und ihre im Weltkrieg gewonnenen Machtpositionen in Vorderasien aufs stärkste bedroht sieht, tobt in Großbritannien und Irland der Bürgerkrieg. Die irische Bewegung hat sich zu einer revolutionären Bewegung von erstaunlicher Kraft und Zähigkeit entwickelt. Die nationale Revolution der Iren hat sich weder durch Verhandlungen noch durch Repressalien aus der Welt schaffen lassen, und alle Versuche durch rücksichtslose Gewaltanwendung das Feuer der irischen Nationalrevolution auszutreten, haben lediglich die Erregung der Sinnfeiner erhöht und sie zur Anwendung immer schärferer Kampfmittel getrieben. Der Kampf der Iren ist heute ein Verzweiflungskampf von Nationalrevolutionären – das erklärt die Kampfmittel, die gegen die englische Herrschaft von ihnen angewandt werden.
Ihre Kampfmittel sind andere, als die einer Massenbewegung oder eines Massenaufstandes des Proletariats. Sie suchen durch terroristische Akte, die sich gegen das Bürgertum und das Leben einzelner Angehörigen der englischen Bourgeoisie richten, die Bourgeoisie zu schrecken, um sie gefügig zu machen zu Verhandlungen. Sie tragen den Terror nach England, um den Terror der englischen Bourgeoisie in Irland ein Ende zu machen. Sie streben nicht nach der Macht in England, sondern sie bekämpfen in der englischen Macht einen äußeren Feind.
Bisher freilich hat der Verzweiflungskampf der Iren nur die terroristischen Methoden der englischen Regierung verschärft. Alle Machtmittel, bis zum brutalsten, die eine moderne kapitalistische Regierung gegen revolutionäre Bewegung zur Verfügung hat, werden von der englischen Regierung gegen die irische Bewegung eingesetzt. Der Kampf wird von beiden Seiten gleich schonungslos geführt. Für die irische revolutionäre Bewegung gibt es kein Zurück mehr. Unterliegt sie, so droht Irland ein terroristisches Regime schlimmster Art. Für die englische Bourgeoisie aber handelt es sich um die Verteidigung der Grundlagen ihrer Macht. Unterliegt sie im Bürgerkrieg, muß sie nachgeben in der irischen Frage, so ist ihre soziale Machtstellung überhaupt erschüttert. Denn der Bürgerkrieg, der durch die irische Frage entfesselt worden ist, spielt sich ab in einer Atmosphäre, die mit revolutionärem Zündstoff geschwängert ist. Der große Bergarbeiterstreik, dessen Ausgang für viele Arbeiter in England eine gewaltige Enttäuschung gewesen ist, hat die englischen Arbeiter gewaltig aufgerüstet. Seine Lehren verweisen die Arbeiter auf die revolutionäre Kampfmethode. Nun, wo der irische-englische Bürgerkrieg auf England selbst übergreift, werden den Arbeitern Beispiele eines revolutionären Kampfes, Beispiele revolutionärer Entschlossenheit vor Augen gestellt. Mehr aber noch: durch den irischen nationalen Befreiungskampf wird den englischen Arbeitern demonstriert, daß die Macht der englischen Regierung nicht unbesiegbar ist. Der traditionelle Glaube an die Unbesserbarkeit der Macht, an die Unbesiegbarkeit des Gewaltapparates der Bourgeoisie wird erschüttert. Die konservative Ideologie in der Arbeiterschaft, die das schwerste Hemmnis jeder sozialrevolutionären Bewegung ist, wird zerstört. Was in den besiegten Ländern Mitteleuropas die Niederlage der Heere auf den Schlachtfeldern bewirkte, die Hebung des Selbstvertrauens der Proletarier, die höhere Einschätzung ihrer Kampfkraft gegen die Bourgeoisie und ihren Machtapparat, das bewirkt in England der irisch-englische Bürgerkrieg. Darum kämpft die englische Bourgeoisie nicht nur gegen die nationale Revolution der Iren, wenn sie die Wut des weißen Schreckens gegen die Sinnfeiner entfesselt, sondern zugleich gegen das Gespenst der sozialen Revolution. Jene Niederschlagungs- und Abschreckungspolitik, die von der Regierung Lloyd Georges gegen die Iren mit einer Brutalität durchgeführt wird, die einem Noske oder Lüttwitz Ehre machen würde, soll nicht nur die Iren, sondern vor allem auch die revolutionär gesinnten englischen Arbeiter abschrecken, der offenen Gewalt der Bourgeoisie die eigene offene Gewalt entgegenzusetzen. Sie verteidigt das Prestige der Ungebrochenheit und Unbesiegbarkeit der Macht der Bourgeoisie.
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Die englische Regierung steht heute in einer überaus schweren Krise. Ihre imperialistische Außenpolitik hat schwere Schläge erlitten. Der Bürgerkrieg im Inneren bindet ihre Kräfte und hemmt die Durchführung einer kriegerisch-konterrevolutionären Politik nach außen. Nach außen und innen muß sie in dieser Situation den Anschein aufrechterhalten, als sei trotz aller Erschütterungen ihre Macht ungebrochen und besiegbar. Aber wie die Wiederanbahnung der Verhandlungen mit Rußland und der Verzicht auf eine unmittelbare kriegerische Politik in Vorderasien ist die Entfesselung des Weißen Schreckens gegen Irland der Beweis ihrer Schwäche. Je schwächer aber die Regierung der Bourgeoisie, je gebundener ihre Machtmittel, umso größer die Stärke der Arbeiterklasse. Nun muß sich erweisen, ob die sozialrevolutionären Kräfte im englischen Proletariat stark genug sind, ob die Revolutionierung der englischen Arbeiter weit genug vorgeschritten ist, um die Krise der Macht der englischen Bourgeoisie revolutionär auszunutzen.
Quelle:
Neue Zeitung vom 3.12.1920
Bilder:
https://de.wikipedia.org/wiki/Osteraufstand#/media/Datei:Easter_1916.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Irischer_Unabh%C3%A4ngigkeitskrieg#/media/Datei:Webley_1868_RIC.JPG