100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

„Dornenhecken rechts wie links“

In diesem Artikel berichtet Marie Schulz (DDP) von den aktuellen Entwicklungen im Thüringer Landtag und beklagt die destruktive Haltung der linken wie rechten Opposition, obwohl die außenpolitische Lage eigentlich Einigkeit erfordere.

Karikatur des Simplicissimus

Thüringer Landtagsarbeit.

Nach mehr als sechswöchiger Pause wurde der Landtag von Thüringen auf den 1. Februar nach Weimar berufen. Man konnte auf den Verlauf der neuen Tagung gespannt sein. Eine Reihe von Vorlagen war zu erwarten, unter ihnen solche, die an sich wenig politisches Gepräge hatten, es aber unter Umständen bekommen konnten und auch bekommen haben: Die Bewilligung der Beamten für die Ministerien. Nur der Wirtschaftsminister hatte sein Ministerium bereits vorher unter Dach und Fach gebracht. Die Ministerien des Innern, des Kultus, der Justiz und der Finanzen sollten folgen. Manches war schon im Laufe der letzten Wochen durchgesickert, war ans Licht der Oeffentlichkeit gelangt und hatte einen regen Meinungsaustausch hervorgerufen. Handelte es sich aber beim Ministerium des Innern weniger um grundsätzliche Fragen als um die Tatsache, daß die Rechte nun einmal Herrn v. Brandenstein Kampf bis aufs Messer angesagt hat, so konnte es beim Kultusministerium zu grundsätzlichen Differenzen kommen. Tieferliegende Gegensätze mußten hier zum Austrag kommen: Einheitliche Leitung des gesamten Schulwesens oder Trennung des höheren und des Volksschulwesens – Auswahl der Persönlichkeiten allein nach sachlichen oder auch nach politischen Gesichtspunkten – Besetzung allein oder vorzugsweise mit Lehrern oder auch mit Juristen.

Dazu hatte man die Besprechung jener Ereignisse zu erwarten, die die Zeit der Ruhe eigenartig belebt hatten: In einer Reihe von thüringischen Gegenden hatten um die Weihnachtszeit Erwerbslosendemonstrationen stattgefunden. Mit mehr oder weniger Gewaltsamkeit waren die Bezirke zur Bewilligung einmaliger Beihilfen gezwungen worden. Und augenscheinlich lag die Leitung in den Händen der Kommunisten. So sehr man die Not der Erwerbslosen anerkennt, so redlich man sich bemühen muß, ihr abzuhelfen, zu diesen Exzessen mußte Stellung genommen werden.

Ferner hatte der Januar zwei besondere Tage gebracht, einen, den jeder Deutsche feiern mußte, den 18. Januar, den zweiten, den wohl nur die Deutschnationalen feierlich begangen haben, den 27. Die fünfzigjährige Wiederkehr der Reichsgründung hätte ganz Deutschland einen müssen. Wäre der Sozialdemokratie nicht alles Nationale ein Quell des Mißtrauens, so hätte sie an der Feier jenes Tages, der einen Schritt auf dem Wege zu ihrem Ideal des Einheitsstaates bedeutete, teilnehmen können. Statt dessen gerade bei dieser Gelegenheit Mißtrauen und Sorge vor einem Rechtsputsch und ebenso von der anderen Seite vor einem kommunistischen Putsch.

 So schienen sich die Gegensätze in Thüringen verschärft zu haben, obwohl die außenpolitischen Verhältnisse dringend zur Einigkeit aufforderten.

Freilich, die Verhandlungen des Verfassungsausschusses, der bereits am 24. Januar zur Verfassungsrevision zusammengetreten war, standen noch unter dem Zeichen der Versöhnlichkeit. Aber die beginnenden Plenarsitzungen brachten einen anderen Ton in die Beratung. Schon die durchaus würdige Regierungserklärung zu den Entente-Forderungen fand weder bei den Unabhängigen noch bei den Kommunisten ein angemessenes Echo. Die Beratung der Erwerbslosenfürsorge ließ die Kluft, die die Kommunisten von den anderen Parteien scheidet, noch größer erscheinen. Ihr Verhalten gegenüber den Erwerbslosendemonstrationen wurde von mehrheitssozialistischer und demokratischer Seite treffend gekennzeichnet. Wie zu erwarten war, entfesselte weiter die Vorlage über die Besetzung des Kultusministeriums eine heftige Debatte.

So zogen sich die Wolken langsam zusammen, und niemand war erstaunt, als das Gewitter bei der Besprechung der unabhängigen und kommunistischen Interpellationen zum Ausbruch kam. Es handelte sich dabei einmal um Eisenacher Vorgänge, die u.a. das Verhalten der Reichswehr am 18. Januar betrafen, ferner um die Besetzung der Tribünen des Landtages mit Polizeimannschaften bei der Erwerbslosendebatte. Die Regierung hielt sich an den Bismarckschen Grundsatz, daß man auch im politischen Leben mit Offenheit meistens am weitesten käme. Sie gab zu, was zuzugeben war, und hatte es, da sie schuldlos war, nicht nötig, in flammender Entrüstung den Beleidigten zu spielen. So verschob sich die Kampfesbasis; aus den Angriffen gegen die Regierung wurde eine, um mit den Worten des Abgeordneten Enders zu reden, regelrechte „Rauferei“ zwischen rechts und links. Kurz, es waren Stunden von jenem hochpolitischen Gepräge, das im wesentlichen Agitationswert hat. Es scheint zu viel Fenster im Weimarer Landtagssaal zu geben.

Und das politische Ergebnis jener 14 Tage? Die Rechtspresse berichtet mit Schadenfreude, daß es in dem Gebälk des Regierungsgebäudes knistert und kracht. Aber das Zugeständnis machten auch die radikalsten Kommunisten, daß sie nichts Besseres an die Stelle der jetzigen Regierung zu setzen hätten. Solange, bis es zu der grotesken Situation kommt, daß Kommunisten und Rechtsfraktion sich zum Sturz der Regierung verbinden, so lange wird sie im Sattel bleiben. Leicht ist ihre Stellung nicht; Gräben und Dornenhecken rechts wie links. Wenn der Abgeordnete v. Eichel-Streiber der neugebildeten Regierung „wachsames Mißtrauen“ ankündigte, so wird man der Regierung erst recht raten müssen, die Worte zu beherzigen, die einst in jenem, ach so märchenhaft fernen Zeiten romantischer Träumerei ein Eichendorff seinem Freunde zurief: „Hüte dich, sei wach und munter!“

Dr. Marie Schulz, M. d. L.

Quelle:

Allgemeine Thüringische Landeszeitung vom 20.2.1921

 

Bild:

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