100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Landtag fördert Frauenrechte

Der Thüringer Landtag befindet sich in einer sehr arbeitsreichen Phase. Neben den andauernden Debatten über die Verfassung, das Landeswappen und die Kreiseinteilung beschäftigt die Ausbildung für Juristen das Parlament, welche die weitere Öffnung des Faches für Frauen ermöglicht. Die rechten Parteien protestieren aufgrund der vermeintlich zarteren Natur der Frauen hiergegen, aber müssen eine Abstimmungsniederlage hinnehmen.

Spätere Kreiseinteilung Thüringens

Aus dem Thüringer Landtag

Kreiseinteilung Thüringens – Frauenfrage!

Weimar, 3. Febr. 1921

Unserem gestrigen Berichte über die Mittwochs-Sitzung des Landtages von Thüringen fügen wir noch folgendes zum Schluß an: Nach der von den Sozialdemokraten beantragten Ueberweisung der Vorlage des Wappens und der Landesfarben von Thüringen an den Ausschuß beriet das Plenum die vom „Volk“ bereits gebrachte Vorlage Uebernahme von 150.000 Mark Verwaltungsunkosten für die Verteilung ausländischer Liebesgaben auf das Land Thüringen. Genossin Sachse drückte bei Besprechung der Vorlage, die dann angenommen wurde, den Quäkern und anderen Menschenfreunden, die der deutschen Not, so weit es in ihren wirtschaftlichen Kräften steht, mit mildtätiger Hilfe beisprangen, den Dank der notleidenden Bevölkerung aus. Darauf ging man zur Beratung von zwei Berichten des Ausschusses über. […]

Zur Kreiseinteilung des Landes Thüringen sind bekanntlich zahlreiche Gesuche beim Landtag eingegangen, Gesuche meist solcher Art, die von der falschen Voraussetzung ausgingen, daß man die Angelegenheit der Kreiseinteilung an der Zentralstelle in Weimar übers Knie brechen wollte, andere aber, die praktische Vorschläge machten. „Das Volk“ hat bereits im Dezember den Ausschußbericht über diese Frage gebracht und wir können uns erübrigen, heute lediglich auf die Neuigkeit hinzuweisen, die Genosse Kieß-Jena als Berichterstatter mitzuteilen wußte. Es soll nämlich die Neuorganisation der Verwaltung Thüringens mit größerer Beschleunigung als bisher geplant, vorgenommen werden, weil sich bei sehr vielen Fragen herausgestellt hat, daß die einheitliche Verwaltung Thüringens sehr Not darunter leidet, daß die Zentralstelle Anweisungen und Verordnungen nicht an gleichmäßig organisierte Unterstellen weiter geben kann, sondern an die Viel- und Buntheit der bisherigen Verwaltungsorgane der Gebiete. Aber es versteht sich, wie Genosse Kieß ausdrücklich betonte, daß auch bei einer beschleunigten Behandlung der ganzen Materie die Interessenkreise im weitesten Maße, besonders aber die berufenen Vertretungen der Bevölkerung, Gewerkschaftskartelle und die Kammern der Arbeitgeber usw., zur Begutachtung herangezogen werden. Zwei neue Gesuche, die inzwischen eingelaufen sind, so eins insbesondere aus Neustadt a. d. O., wurden ebenso wie die schon seit langem vorliegenden Gesuche zur Kreiseinteilung der Regierung als Material zur Erwägung überwiesen. Wir sind auf Grund guter Informationen in der Lage, mitzuteilen, daß alle diese Gesuche an der maßgebenden Zentralstelle in Weimar auf das eingehendste geprüft und auch gewürdigt worden sind.

Juristisches Staatsexamen um 1850

Eine längere prinzipielle Auseinandersetzung ergab die Beratung des Antrages der Abgeordneten Frau Schulz (DDP.), Frau Sachse und Kieß (SPD.), Brill (USP.) über die Zulassung der Frauen zu juristischen Prüfungen usw. Die demokratische Abgeordnete Frau Schulz begründete den Antrag auf das eingehendste und herzlichste, konnte aber trotz aller milden Freundlichkeit nicht an der wenig erfreulichen Tatsache vorübergehen, daß die Gleichberechtigung der Frauen nach der Reichsverfassung noch immer Papier ist und noch lange nicht in die Wirklichkeit umgesetzt ist.

Minister Paulssen antwortete, daß in Thüringen seit September 1919 bereits Frauen zur ersten juristischen Staatsprüfung zugelassen werden und daß nach einer demnächst zu erlassenden neuen Prüfungsordnung für Referendare und Assessoren die Zulassung der Frauen auch zum Referendar dient und das Assessorenexamen erfolgen wird.

Auf den Minister Paulssen folgte der Rechtsanwalt Härtrich-Meiningen vom Landbund. Er mußte mit süßsaurer Miene feststellen, daß der Marsch für Gleichberechtigung der Frauen ungestüm und nicht mehr aufzuhalten ist, hielt sich aber an die letzten Reservatrechte der Männer in den juristischen praktischen Berufen der Rechtsanwaltschaft und den Richterberufen. Er hatte dann prinzipielle Einwendungen gegen die Herbeiziehung der Frauen zu diesen Berufen, indem er feststellen wollte, daß das Taktgefühl der Frau sehr viel der bei Gerichten anhängigen, oft höchst anstößigen Sachen nicht ertragen könne und daß sie in bestimmter geistiger Verfassung die Frauen nicht die Kraft aufbrächten, um dem Recht auch seine Durchschlagskraft zu gewähren.

Ihm folgte der Demokrat Mehnert, der eingangs seiner Rede versuchte, für die Frauen sprechen zu wollen, aber dann derartig kritische und von schwersten Bedenken gegen die Gleichberechtigung getragene Ausführungen machte, daß ihm von einem witzigen Abgeordneten der Sozialisten zugerufen wurde: „Sie wollten doch aber für die Gleichberechtigung sprechen!“

[…]

Die gesamte Linke stimmte dann angesichts der Selbstverständlichkeit der Forderung gegen den Antrag der Rechten, die Materie dem Ausschuß zu überweisen, weil sich die Linke darüber klar war, daß man über platonische Diskussionen der Geschlechterfrage auch im Ausschuß nicht hinauskommen würde. Diesen Anlaß benutzte die Rechte, die mit 23 gegen 22 in dieser Frage niedergestimmt wurde, um sich dann bei der darauffolgenden Abstimmung ihrer Stimme zu enthalten, so daß sie nun ihren Frauen, die doch die Gleichberechtigung mit ihnen schon in der Politik haben, sagen können, daß sie ja niemals gegen die Gleichberechtigung der Frauen auch auf wirtschaftlichem Gebiet gestimmt haben.

Quelle:

Das Volk vom 3.2.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_02_0193.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00190466

 

Bilder:

GliederungThueringen1922 - Geschichte der Verwaltungsgliederung Thüringens – Wikipedia

Das -Juristische- Examen (Tübingen vor 1850) - Juristenausbildung in Deutschland – Wikipedia