100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Nationalismus bringt uns nicht weiter

Reichsaußenminister Walter Simons (parteilos) verteidigt vor dem Reichstag die Protesthaltung der Regierung gegenüber der Entente und pocht auf einen Frieden des Rechtes. Abgeordnete der rechtsnationalistischen DNVP störten die Rede mit Zwischenrufen und Lachen, was Ludwig Haas (DDP) in diesem Artikel scharf verurteilt. In ihrem gewaltaffinen Ungeist würden sich die deutschen Nationalisten der Welt nicht anders präsentieren als die französischen Nationalisten, so Haas.

Ludwig Haas (1875-1930)

Vom deutschnationalen Geist.

Von Dr. Ludwig Haas-Karlsruhe, M. d. R.

Während der Rede des Reichsministers Dr. Simons ereignete sich ein Zwischenfall, der für den Geist der Deutschnationalen Partei außerordentlich bezeichnend war. Gegenüber der Strafandrohung der Entente, daß die Erfüllung ihrer wahnsinnigen Forderungen Voraussetzung der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund sei, erklärte Dr. Simons mit seiner Klugheit, daß ihm Lord Curzon schon gestatten müsse, diese Drohung so lange für verfrüht zu halten, als Deutschland einen Antrag auf Eintritt in den Völkerbund noch nicht gestellt habe. In deutlicher Form war damit zum Ausdruck gebracht, daß Deutschland den Völkerbund von Versailles als das Gegenteil eines wahrhaftigen und ehrlichen Völkerbundes betrachtet. Gerade deswegen mußte aber auch Dr. Simons deutlich erklären, daß er für den großen Gedanken eines wahren Bundes der Völker, daß er für dieses Hochziel einer künftigen Entwicklung der Menschheit nicht nur volles Verständnis habe, sondern wahrhafte Teilnahme im Herzen trage. Für diese seine Auffassung berief er sich auf das Zeugnis des Abg. Schiffer. Bei diesen Worten ging ein Lachen durch die Reihen der deutschnationalen Abgeordneten, und wilde Zwischenrufe wurden laut.

Die Rechte beweist damit, daß sie immer noch nicht erkennen will, daß die Methoden der Gewaltpolitik ein Unglück für Deutschland, ein Unglück für die Sieger, ein Unglück für die ganze Menschheit sind. Wohin die Lehren der Gewaltpolitik führen, zeigt der Vertrag von Versailles. Anstatt der Welt den Frieden zu geben, und den geplagten Völkern zu ermöglichen, endlich in gesicherter Arbeit das aus tausend Wunden blutende Europa neu aufzubauen, hat man, weil der ganze Vertrag sich in gewaltpolitischen Bahnen bewegt, Europa zu einem Herde dauernder politischer und wirtschaftlicher Unruhe gemacht. In Versailles hat die Gewaltpolitik bankerott gemacht; dort hat es sich gezeigt, daß die Probleme, die der Weltkrieg hinterlassen hat, gewaltpolitisch einfach nicht gelöst werden können. Nun kommt als logische gewaltpolitische Folge des gewaltpolitischen Versailler Friedens die Wahnsinnsforderung, daß Deutschland 42 Jahre lang sich in wirtschaftlicher Sklaverei befinden soll, daß es 226 Milliarden Goldmark bezahlen und darüber hinaus durch eine Exportabgabe von 12 Prozent die einzige Quelle seiner Zahlungsfähigkeit, seine Exportfähigkeit, vernichtet sehen soll. Es ist in der Tat ein Beweis von politischem Tiefstand, ein Beweis, daß gewisse Menschen in der allerhöchsten Not des Vaterlandes in eigensinniger Rechthaberei alte Gedanken nicht preisgeben wollen, wenn jetzt deutsche Männer sich immer noch nicht zu der Erkenntnis durchringen, daß die Lehren der Gewaltpolitik wirtschaftlich, politisch und moralisch verwerflich sind. Wir Deutschen müßten unter dem Druck der niederträchtigen gewaltpolitischen Forderungen, die jeden Zusammenhang der gemeinsamen Weltinteressen vergessen, doch wahrlich begreifen, daß es eine Gemeinheit, aber auch eine Dummheit ist, den Versuch zu unternehmen, ein Volk auf 42 Jahre der Sklaverei anderer Völker zu unterwerfen. Wenn wir Deutschen noch nicht begreifen, daß die Welt mit brutaler Gewalt nicht in Ordnung gebracht werden kann, dann dürfen wir uns nicht darüber beklagen, daß das französische Volk das noch nicht einsieht. Man könnte fast sagen, daß das törichte Lachen und die spöttischen Zwischenrufe der Deutschnationalen jenem Geist entspringen, aus dem heraus die französischen Staatsmänner in nationalegoistischer Verblendung dazu übergehen, unsagbares Unglück über ganz Europa zu bringen. An dieses Lachen und an diesen Spott der Deutschnationalen wollen wir uns nicht nur vorübergehend erinnern. Das deutsche Volk muß mehr wie je die Politik der einzelnen Parteien auch vom Standpunkt der äußeren Politik aus prüfen. Wir stehen im Kampfe um unser Recht. Eine Partei aber, die selbst in dieser Lage die Forderung des Rechtsgedankens im Völkerleben nicht anerkennen will, ist zur Lösung der Aufgaben, die unsere Zeit für Europa, aber vor allem für unser armes Vaterland erfordert, unfähig. Unser „Nein“ kann nur dann stark und wirkungsvoll sein, wenn es im Geiste von Simons gesprochen wird. So begreift es die Welt. Ein Protest aber, der innerlich auf dem Geiste der Gewaltpolitik beruht, ist wirkungslos. Unsere Aufgabe ist es, für das Recht gegen die Gewalt zu kämpfen und stark zu bleiben in diesem Kampfe. Auch das mag das deutsche Volk überlegen: Wie die Kommunisten, haben die Deutschnationalen die Würde des Deutschen Reichstags geschädigt, in einer Stunde, in der wahrlich alles mehr am Platze war, als höhnisches Lachen und lärmende Zwischenrufe.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 5.2.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273809/JVB_19210205_030_167758667_B1_001.tif

 

Bild:

HaasLudwig - Ludwig Haas (Politiker) – Wikipedia