Oberschlesien-Abstimmung von Gewalt überschattet
In weniger als einem Monat wird die Volksabstimmung in Oberschlesien über die Zugehörigkeit der Provinz entscheiden. Bereits jetzt fordert die Gewalt zwischen polnischen und deutschen Paramilitärs regelmäßig Tote. Diese überparteiliche Protestversammlung in Jena fordert eine friedliche Abstimmung ein, ist aber ihrerseits nicht von nationalistischen Ressentiments frei.
Jenaer Protest.
Die Protestversammlung gegen die getrennte Abstimmung in Oberschlesien, die Dienstag, den 15. Februar, im Volkshaus tagte, war von einem aus allen Volksschichten bestehenden Publikum besucht.
Professor Dr. [Georg] Mentz [DDP, Anm.], der als Vertreter des Bundes für das Deutschtum im Ausland den Vorsitz übernommen hatte, eröffnete die Kundgebung mit einer herzlichen Begrüßungsansprache, in der er der Schleswiger, der Ost- und Westpreußen gedachte, deren Siege mit friedlicher Waffe ein Ruhmesblatt in der deutsche Geschichte bilden.
In großen Zügen führte dann Dreher Jüttner den historischen Werdegang Oberschlesiens vor Augen, der den besten Beweis erbringe, daß die jetzt heiß umworbene Scholle seit Urzeiten ein deutscher Gau mit treudeutscher Bevölkerung ist.
Dr. Schomerus wies auf die wirtschaftliche Bedeutung Oberschlesiens hin, ohne das Deutschland existenzunfähig ist, ohne das Hunderttausende deutscher Arbeiter brotlos werden würden. Er wies ferner darauf hin, daß Oberschlesien, wenn es an Polen fiele, binne kurzem das Schicksal Westpreußens teilen müßte, wo das Deutschtum geknechnet, Handel und Industrie vernichtet, Forst- und Landwirtschaft durch unerhörten Raubbau zugrunde gerichtet ist, daß aber auch, wenn Oberschlesien bei Deutschland verbleibt, der etwa polnisch gesinnte Oberschlesier gleichberechtigt neben dem Deutschdenkenden in der deutschen Republik stehen würde.
Darauf ergriff Pfarrer Hilden das Wort und erbrachte an Hand der Geschichte den Nachweis, daß Oberschlesien auch in kirchlicher Beziehung zum deutschen Vaterlande gehöre. Mit warmen Worten rühmte der Redner die Frömmigkeit des Märtyrervolkes, das nicht von seinem Breslauer Fürstbischof getrennt sein, nicht auf seine im Kindesalter erlernten deutschen Gebete und die lieben deutschen Kirchenlieder verzichten will. In unverbrüchlicher Treue steht Oberschlesiens Katholizismus zum Reich.
Polierer Stephan schilderte zunächst die Lage der oberschlesischen und im Gegensatz dazu die der polnischen Arbeiterschaft, der Krankenkassen, gewerkschaftliche Organisationen usw. böhmische Berge sind. Das überaus fesselnde, oft mit treffenden Dichterworten durchflochtene Referat gab wohl allen Zuhörern zu denken. Oft begleitet von Beifallsrufen, nicht nur etwa der Gesinnungsfreunde, ging der Referent immer mehr aus sich heraus, bis zum Schluß sein Ruf: „Ein freies Deutschland allen voran!“ einen ungeteilten, nicht endenwollenden Enthusiasmus hervorrief.
Professor Dr. [Hans] Lietzmann [DNVP, Anm.], der den Faden an der richtigen Stelle aufgriff, erhob flammenden Protest gegen das Abstimmungsreglement, das mit dem Friedensvertrag in keiner Weise in Einklang steht, gegen die Vergewaltigung unserer deutschen Volksgenossen, die keinen Parteihader kennend, felsenfest zum deutschen Reiche stehen, trotz aller Drohungen, Verlockungen und des Terrors. Begeistert lauschten die Versammlungsbesucher den Worten des Redners, der in herzgewinnender Weise zum Schluß an den Geldbeutel appellierte, da die Heimattreuen, die mit Freuden ihre Stimme für Deutschland geben werden, die Mittel bitter notwendig brauchen, um in die ferne Heimat zu gelangen. Stürmischer Beifall belohnte alle Referenten und man darf frank behaupten, daß sich in diesen erhebenden Stunden jeder so recht als Deutscher fühlte.
Professor Dr. Mentz schloß darauf die Versammlung und verlas die Resolution, die einstimmig unter Applaus angenommen wurde und der deutschen Regierung und der interalliierten Kommission in Oppeln übermittelt wird. Die Entschließung lautet:
Die heute im Volkshaus zu Jena tagende Versammlung, in der alle Klassen des deutschen Volkes vertreten sind, dankt von ganzem Herzen den oberschlesischen Volksgenossen, die in beispielloser Treue ausharren, um sich und ihr Land unserem Vaterlande zu erhalten.
Sie erhebt den schärfsten Einspruch gegen das ungerechte, die deutsche Sache schwer benachteiligende Abstimmungsreglement, insbesondere gegen die getrennte Abstimmung. Sie fordert die Reichsregierung auf, in ihrem Protest gegen diese Bestimmungen fest zu bleiben.
Trotz aller Erschwernisse, trotz Lug und Trug und polnischem Terror sind wir des Sieges sicher und wissen, daß Oberschlesien mit überwältigender Mehrheit sich für die deutsche Sache erklären wird.
Sch.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 17.2.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273819/JVB_19210217_040_167758667_B2_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371262