Preußische Landtagswahlen bringen keine Entscheidung
Nicht nur in Thüringen, sondern auch beim großen Nachbarn Preußen ist die Regierungsfindung schwer. Die Landtagswahl am 20. Februar brachte keine Mehrheit für die Weimarer Koalition und anders als in Thüringen ist Große Koalition unter Einbezug der DVP immerhin denkbar. Die Partei ziert sich jedoch, was zu einer baldigen Regierungskrise führen wird.
Das Problem der Regierungsbildung in Preußen
Die Sozialdemokratie für die bisherige Koalition
Weimar, 25. Februar 1921.
Die Zurückhaltung, die augenblicklich in der Presse der bürgerlichen Koalitionsparteien geübt wird, beantwortet die Rechtspresse mit einem Sturm von Vernunftappellen an das Zentrum und die Demokraten, doch um Gottes Willen in Preußen die sozialdemokratische Mißwirtschaft nicht fortzusetzen. Besonders den Deutschnationalen bangt um „Ihr Preußen“, in dessen künftiger Verwaltung sie auch weiterhin den reaktionären Einfluß ausgeschaltet sehen. Weniger geht es ihnen um eine Koalitionserweiterung im Reich als in Preußen, das sie glaubten nach den Wahlen wieder zum Hort der Reaktion machen zu können. Ihre Hoffnungen sind durch die Wahl nicht in Erfüllung gegangen, und was sie auf dem Wege der Abstimmung nicht erreichten, versuchen sie jetzt vorläufig mit dem Stimmband und der Feder. Eine Glanzleistung erbringt in dieser Beziehung die „Deutsche Tageszeitung“, die sich eifrig bemüht, den „Willen des Volkes“ vom 20. Februar dahin auszulegen, daß endlich die „Mißwirtschaft“ in Preußen beendigt werde. Eine Fülle von Beschimpfungen leistet sich in diesem Blatt, das sonst den Volkswillen bekämpft, ein gewisser Freiherr von Wangenheim, der gegen die „Partei- und Mißwirtschaft“ der Sozialdemokraten das preußische Volk auffordert, millionenfach die Stimme zu erheben für die bürgerliche Wiederaufbauregierung. Ueber dieses sinnlose Treiben kann man nur lächeln. Millionenfach soll das preußische Volk die Stimme für die Reaktionäre von 1914 erheben, obwohl erst 5 Tage vergangen sind, seit das deutsche Volk millionenfach sich gegen diese Herrschaft ausgesprochen hat. 57.000 Stimmen Zuwachs hatten die Rechtsparteien bei der Preußenwahl zu verzeichnen, denen ein solcher von
315.000 Stimmen
Für die Sozialdemokraten und das Zentrum gegenübersteht. Also ein Spruch für den Fortbestand der alten Koalition. Man kann es aber auch dem Herrn der Rechten diesmal nicht übel nehmen, wenn sie nach altem Brauch den sonst verhaßten „Willen des Volkes“ zu ihren Gunsten umfälschen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang übrigens ein Ausspruch des Admirals a. D. Tirpitz, der nach einem deutschnationalen Blatt erst vor kurzem in Hamburg gesagt hat, daß der „reinen Majoritätsherrschaft“ ein Gegengewicht gegenübergestellt werden muß. Trotz dieses Ausspruches scheinen sich die Reaktionäre von rechts aber nicht auf den „Willen des Volkes“ berufen.
Der vorstehende Hinweis über das Gejammere der Deutschnationalen bezüglich der kommenden Regierungsbildung in Preußen ist nur ein Beispiel von den unzähligen Angriffen, die gegen die Sozialdemokratie unter dem Mißbrauch von Tatsachen erhoben werden, um die bisherigen bürgerlichen Koalitionsparteien zu bewegen, die Fortführung des jetzigen preußischen Regierungsverhältnisses auszugeben. Die Deutsche Volkspartei, die sich auch manchen Angriff wegen ihrer Nachgiebigkeit gefallen lassen muß, reagiert bereits durch ihre parteiamtliche Korrespondenz auf die Vorwürfe. Nachdem zunächst darauf hingewiesen wird, daß alle bisherigen Betrachtungen über eine Regierungsbildung in Preußen nur auf Kombinationen beruhen und erst beim Zusammentritt der neuen Landtagsfraktion eine Regelung der Frage zu erwarten ist, schreibt die Korrespondenz u. a.:
„Auch diesmal wird die Deutsche Volkspartei sich selbstverständlich niemals dazu verstehen, irgend welche demokratisch-sozialdemokratische Gesinnung anzuerkennen.“
Diese Großtuerei bedeutet in Wirklichkeit eine Selbstverleugnung der Volkspartei, denn bisher ist sie der Sozialdemokratie förmlich nachgelaufen, um sie zum Eintritt in das Kabinett zu bewegen, und sie hat sich sogar bereit erklärt, alle gewünschten Zugeständnisse an unsere Partei zu machen.
Quelle:
Das Volk vom 25.2.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_02_0331.tif