Protestnote im Namen des Thüringer Volkes
Die Polarisierung der Thüringer Parteienlandschaft erschwert eine einheitliche Antwort auf die Pariser Beschlüsse. Linksaußen möchte man sich nicht der Regierungserklärung von Arnold Paulssen anschließen, der die alliierten Reparationsforderungen deutlich zurückweist.
Thüringens Landtag zu Deutschlands Versklavung.
Wie die Parlamente anderer deutscher Einzelstaaten, so hat am Donnerstag auch der Thüringer Landtag in einer denkwürdigen, durch den Verzicht auf jede Ansprache um so wirksameren Sitzung zu Frage Stellung genommen, die jetzt ganz Deutschland bis ins Innerste bewegt und die über die ganze völkische Zukunft unseres Vaterlandes und unserer Kultur entscheidet. Die von Staatsminister Dr. Paulssen verlesene Erklärung bildete den Auftakt; in knapper, schmuckloser und gerade deshalb um so eindringlicherer Sprache faßt sie erschöpfend die unmöglichen und berechtigten Forderungen unserer Feinde noch einmal zusammen und weist auch auf die uns für den Weigerungsfall angedrohten „Sanktionen“ hin. „Wir bitten Sie, die berufenen Vertreter des Thüringer Volkes“, so schließt die Kundgebung, „in Uebereinstimmung mit dem deutschen Reichstage laut und nachdrücklich Protest zu erheben gegen diesen Mißbrauch der Gewalt, gegen die bei Verwirklichung der gegnerischen Forderungen unvermeidliche Vernichtung des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens des deutschen Volkes in Gegenwart und Zukunft“.
Für den Charakter und die Beurteilung der politischen Parteien unseres engeren Vaterlandes war es von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wie sie sich in ihren Erklärungen zu dieser von der Regierung gegebenen Anregung stellen würden. In anderen Ländern wäre diese Frage vielleicht überflüssig, da dort jeder selbstverständlich für sein mißhandeltes und in Not befindliches Vaterland eintritt. Daß die alle hart betreffende Not ein einigendes Band auch bei uns sein kann, zeigte eine gemeinsame Erklärung der Mehrheit des Hauses. Deutschnationale, Deutsche Volkspartei, Demokraten, Landbund und Rechtssozialdemokraten stellten sich geschlossen hinter die Kundgebung und den Protest der Regierung und folgten damit dem Vorbilde ihrer Parteien im Reichstage. Es ist das erste Mal im Thüringer Landtage, daß sich die Rechte und die Rechtssozialisten zu einer gemeinsamen Kundgebung vereinigt haben, und man wird es überall im Lande freudig begrüßen, daß parteipolitische Gesichtspunkte zurücktreten mußten, als es sich um die unerhörte Vergewaltigung eines großen Volkes handelte. Daß die Rechtssozialisten in einer besonderen Erklärung die Auswirkungen der Pariser Bedingungen auf die Arbeiterschaft nochmals zum Ausdruck brachten und an das Gemeinsamkeitsgefühl der Arbeiter in den feindlichen Ländern appellierten, ließ den mörderischen und kulturvernichtenden Charakter der Entente-Forderungen nur um so plastischer in Erscheinung treten.
Leider hat es die Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten nicht vermocht den Standpunkt ihrer Genossen im Reichstage auch im Thüringer Parlament einzunehmen. Ueber die gemeinsame Not aller Volksgenossen geht diesem Teile der deutschen Staatsbürger der Haß gegen die Bourgeoisie und das Kapital. So war die Erklärung dieser Partei weniger ein Protest gegen die unmenschlichen Bedingungen, die allerdings auch von dieser Seite als nicht erfüllbar angesehen werden, als vielmehr die Anklage gegen Andersdenkende und ein Hilferuf an das internationale Proletariat, dessen tatkräftiges Handeln zum Schutze aller Unterdrückten wie ja schon so oft haben anrufen hören, aber nie in Wirksamkeit haben treten sehen. Auch diese Gelegenheit, sich des mißhandelten Deutschlands anzunehmen, wird an dem in anderen Ländern noch mangelhaft ausgebildeten „Internationalismus“ scheitern.
Daß die Erklärung der kommunistischen Partei nicht nur einen Protest in Gemeinschaft mit der Bourgeoisie ablehnte, sondern zugleich gegen die nationalistische Ausnutzung unserer furchtbaren Lage Einspruch erhob und alles Heil von Moskau erwartete, kann nicht Wunder nehmen. Hier führt die unüberbrückbare Tiefe der Gegensätze zur absoluten Verständnislosigkeit. Die Rechte nahm denn auch die beiden letzten Erklärungen mit einem eisigen Schweigen auf.
Nur ein unverbesserlicher Optimist konnte erwarten, daß eine alle Parteien umfassende und einigende Kundgebung unserer furchtbaren Lage entspringen würde. Mit lebhaftem Danke wird es aber im ganzen Lande empfunden werden, daß die Mehrheit der Thüringer Volksvertretung geschlossen ihrer Entrüstung und ihrem Protest gegen die brutale Vergewaltigung machtvollen Ausdruck gegeben hat.
Quelle:
Allgemeine Thüringische Landeszeitung vom 4.2.1921
Original der Protesterklärung des Landtages: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00184924/509000331_0055b.tif
Bild:
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar - Thüringer Landtag (Weimarer Republik) – Wikipedia