Spaltung des sozialistischen Lagers hält an
Die Abspaltung des kommunistischen Flügels der USPD im Herbst 1920 hat zumindest in Thüringen nicht zu einer Annäherung zwischen der MSPD und der Rest-USPD geführt. Landtagspräsident Leber (MSPD) führt in diesem Beitrag aus, warum seiner Meinung nach die USPD nicht an einer gemäßigteren Politik interessiert ist.
Die gegenwärtige Lage im Thüringer Landtag
Von
Hermann Leber
Am 11. November 1920 gelang es, die Thüringer Regierung nach langen Verhandlungen zustande zu bringen. Durch die Abstinenz der Unabhängigen Sozialdemokraten einerseits und andererseits durch die Politik der Landbündler, die sich mit den Deutschnationalen und der Volkspartei auf Gedeih und Verderb verbanden, konnte die Regierung nur auf schmaler Grundlage gebildet werden. Hätten die Landbündler, deren Stimmen zum größten Teil von Arbeitern und kleinen Landwirten herrühren, sich nicht eine deutschnationale Führung gewählt und würden die Unabhängigen in die Regierung mit eingetreten sein, dann würde die Basis der Thüringer Regierung eine breitere und sichere sein. So sitzen in der Regierung 2 Sozialdemokraten und 3 Demokraten neben 2 Fachministern.
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Die auf so schmaler Grundlage gebildete Regierung hat nun ein volles Vierteljahr ihres Amtes gewaltet. Gearbeitet hat sie in dieser kurzen Zeit gerade genug. Daß nicht die Gesetzentwürfe nur vom Sozialismus durchtränkt waren, ist richtig. Aber es kommen ja, wie es bei der Landespolitik gar nicht anders sein kann – denn selbst in dem großen Staat Preußen ist es der Fall – eine Anzahl Gesetzesvorlagen in Frage, die nur vom wirtschaftlichen Standpunkt aus zu bewerten sind. Und wenn man diese von der Thüringer Regierung ausgearbeiteten Gesetzentwürfe in Betracht zieht, kann nicht behauptet werden, daß sie sich gegen die Arbeiter richteten. Wenn auch nur 2 Sozialdemokraten in der Regierung mitwirken, so haben diese ihr alles eingesetzt, damit die Interessen des arbeitenden Volkes nicht zu kurz kommen.
Die Regierung hat also nicht versagt, hat gehalten, was sie nach Lage der Konstellation erreichen konnte. Haben dasselbe die Parteien getan, die bei der Regierungsbildung erklärten, sie würden die Regierung stützen? Darauf antworte ich mit nein! Daß bei jeder Vorlage, die einigermaßen von Bedeutung ist, die Unabhängigen ihre eigenen Wege gehen – trotz der „Einheitsfraktion“ – wird einem gewissenhaften Beobachter nicht entgangen sein. Darüber braucht man sich nicht aufzuhalten. Denn würden sie nicht immer einen anderen, „radikaleren Standpunkt“ einnehmen, dann wäre es nicht notwendig, eine eigene Partei aufrecht zu erhalten. Daß sie aber auch bei rein wirtschaftlichen Fragen auf unseren Genossen in der Regierung – oder auf der Regierung überhaupt – herumtrommelten, wo gar keine Ursache vorlag, ist doch ein Schauspiel für Götter. Und es ist kein Wunder, wenn die Mitglieder der rechtsstehenden Fraktionen sich im Landtage den Bauch vor Lachen halten, wenn die „geeinigte Fraktion der Linken“ sich selbst in aller Oeffentlichkeit bekämpft und die Sozialdemokraten in der Regierung mit den bekannten Redensarten beworfen werden.
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Wenn dieser Kampf so weitergehen soll, da muß doch mal in aller Oeffentlichkeit und mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß da die Sozialdemokraten sich bedanken, mitzumachen. Wenn sie bisher, um die Einheitsfront der Linksfraktion im Landtage zu erhalten, jedes Opfer brachten, so hat aber auch dieses eine Grenze. Sie müßten Feiglinge sondergleichen sein, wenn sie sich eine derartige Behandlung auf die Dauer gefallen ließen. Kommt es zum Auffliegen der Regierung, werden unsere Genossen froh sein, die Last los zu werden. Was dann kommt, haben die Unabhängigen durch ihr Verhalten heraufbeschworen. Kommt es zu einer Landtagsauflösung – wir Sozialdemokraten sehnen sie nicht herbei, aber wir gehen ihr nicht aus dem Wege – dann werden wir wissen, unseren Mann zu stellen. Wir werden in einem Landtagswahlkampf nichts verlieren, sondern nur gewinnen. Anders bei den Unabhängigen! Es kann kein Mittelding geben zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Auf die Dauer kann sich ein solches Parteigebilde nicht halten, darum werden sie auch bei der nächsten Thüringer Wahl nicht ungerupft davon kommen. Daß dem so ist, wissen auch die einsichtigen Unabhängigen. Und darum ist es wirklich angebracht, daß man im Thüringer Landtag eine andere Haltung einnimmt. Denn nicht durch die Politik der Unabhängigen, sondern durch die Politik der Sozialdemokraten wird das Thüringer Volk, und in erster Linie die Arbeiterschaft, gewinnen.
Quelle:
Das Volk vom 15.2.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_02_0265.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00190551