100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Wie weiter in Posen?

Nach dem Posener Aufstand verlor die preußische Regierung bereits im Februar 1919 die Kontrolle über die Provinz Posen an das wiedergegründete Polen. Deutsche Nationalisten halten jedwede Verständigungspolitik angesichts der vermeintlichen „Kulturlosigkeit“ der Polen für naiv.

Gedenktafel für Hellmut von Gerlach, der sich für die deutsch-polnische Verständigung einsetzte

Polnische Kultur.

Trübe Bilder von dem Verfall, dem unsere geraubten Ostprovinzen entgegengehen, enthüllte ein Vortrag, den in Erfurt Baurat Stegmann auf Einladung des Bürgerbundes über seine Erlebnisse während des Polenaufstandes der Jahre 1918/19 hielt. Trübe Bilder aber auch von deutscher Schlafmützigkeit, von der verfehlten Versöhnungspolitik vor dem Kriege und von der verbrecherischen Sorglosigkeit, durch die sich die nachrevolutionäre Regierung in Deutschland trotz aller Warnungen unsere schönen Provinzen von den kulturell tief unter uns stehenden Polen entreißen ließ. Die vielen persönlichen Erlebnisse während des Polenaufstandes, denen der Redner breiten Raum gab, führten dem Zuhörer ein anschauliches Bild von dem Schicksal des geknechteten Landes vor Augen. Die Revolutionstage seien auch dort unter den üblichen Erscheinungen aber verhältnismäßig ruhig verlaufen. Mit banger Sorge sahen die Deutschen in die Zukunft und wandten sich an die Regierung. Diese schickte den berüchtigten Herrn v. Gerlach, der von den Polen freundlich empfangen, feuchtfröhlich bewirtet wurde und nach 24 Stunden wieder nach Berlin zurückkehrte. Sein Bericht lautete, daß alles in schönster Ordnung sei. Bei der Feier des Einzuges englischer und französischer Kommissionen in Posen, die von den Polen mit den Verbands-Farben in der zum Deutschen Reich gehörenden Stadt empfangne wurden, entlud sich die Spannung. Deutsch empfindende Soldaten des Artillerie-Regiments Nr. 20 rissen die Fahnen wieder herab und dabei kam es zu den ersten Schießereien, die dann wochenlang nicht aufhörten und das Land allmählich unter polnische Herrschaft brachten. Damit begann die Drangsalierung der Deutschen, die Schließung ihrer Schulen und Kirchen, Gefangennahme, Morde und eine allgemeine Verwahrlosung des Landes, die auch jetzt ihren Tiefstand noch nicht erreicht hat. Es ist soweit gekommen, daß auch die Posener Polen schon die kongreßpolnische Herrschaft verfluchen, daß polnische Soldaten das Deutschlandlied sangen und polnische Offiziere das Bild Kaiser Wilhelms an die Stelle des Bildes Pilsudskis hingen. Diese Symptome, die keine Deutschfreundlichkeit darstellen, die Unmöglichkeit der polnischen Regiererei muß uns die Zuversicht geben, daß die polnische Wirtschaft bald ein Ende hat und die geraubten Lande Deutschland wieder zurückgegeben werden. Dazu hilft uns aber nur die eigene Kraft, die aus einer sittlichen Erneuerung geboren wird.

Quelle:

Der Deutsche vom 26.2.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0207.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307523

 

Bild:

Gedenktafel Genthiner Str 48 (Tierg) Hellmut von Gerlach - Hellmut von Gerlach – Wikipedia