100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Wir zahlen nicht (so viel)!

Die Reichsregierung unter Constantin Fehrenbach (Zentrum) arbeitet Gegenvorschläge zu den Pariser Beschlüssen aus. Viel Handlungsmacht hat Deutschland jedoch nicht. Als schärfstes Gegenmittel bleibt lediglich die Einladung zur Londoner Konferenz, wo die Reparationssumme beschlossen werden soll, nicht anzunehmen.

Reichskanzler Fehrenbach (1852-1926)

Die Ausarbeitung der deutschen Gegenvorschläge für London.

Von besonderer Seite wird der Allg. Thür. L.-Ztg. „Deutschland“ geschrieben:

Das Reichskabinett steht permanent im Zeichen der deutschen Gegenvorschläge für die Londoner Konferenz und hat vorläufig alle anderen gesetzgeberischen Arbeiten vertagt, um bald die Gegenvorschläge der Entente unterbreiten zu können. Die Stimmung im Reichskabinett ist zuversichtlich; an dem Beschlusse vom 1. Februar, die Pariser Forderungen abzulehnen, wird strikt festgehalten. Das Reichsfinanzministerium hat in ständiger Fühlung mit allen Ressorts den Neuentwurf für die deutschen Gegenvorschläge aufgestellt. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Summe von 150 Milliarden Mark die höchste zu bewilligende Reparationssumme sein kann und daß alle bisher geleisteten Zahlungen und Lieferungen in diese Summe einzurechnen sind. Die deutschen Gegenvorschläge, eingehend begründet, werden den Beweis liefern, daß schon diese Summe Deutschlands Leistungsfähigkeit fast übersteigt. Die Zahlung soll in 30 Jahren erfolgen. Beabsichtigt ist, die deutschen Gegenvorschläge nach Paris zu übermitteln mit der Bitte, sich zu äußern, ob diese Vorschläge in London als Verhandlungsbasis neben den Pariser Beschlüssen zugelassen werden sollen. Erfolgt in diesem Punkte keine Zustimmung, so dürfte die Reichsregierung die Einladung nach London nicht annehmen, weil die Londoner Verhandlungen alsdann einem Diktat gleichen und Deutschland ein Diktat jetzt nicht unterschreibt. Die Londoner Konferenz würde in diesem Fall nicht zustande kommen. Es kann wohl angenommen werden, daß Deutschland einen Schiedsspruch Amerikas beantragen wird, um zwischen beiden Teilen zu vermitteln. Sollte die Entente indes Gewalt anwenden wollen und neues deutsches Gebiet besetzen, so wird Deutschland dies als Kriegsfall betrachten, der den Versailler Friedensvertrag vernichtet. Für diesen Fall wird aber Amerika eingreifen, um einen neuen Kriegszustand in Europa zu verhindern, der unbedingt auch in Osteuropa neue Verwicklungen heraufbeschwören muß. Man erwartet deutscherseits, daß die Entente das Zustandekommen der Londoner Konferenz nicht vereiteln wird, die Konferenz erst Mitte März stattfindet und nach dem Amtsantritt Hardings auch Amerika sich an der Konferenz beteiligen wird.

Vor Absendung der deutschen Gegenvorschläge wird die Regierung die Reichstagsfraktionen und den Reichswirtschaftsrat von dem Inhalte in Kenntnis setzen. Eine Einberufung des Reichstages zu diesem Zwecke ist jedoch nicht geplant.

Die Begründung der Gegenvorschläge wird nicht nur die finanzielle Seite beachten, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen berücksichtigen und den Beweis bringen, daß die zwangsweise Erfüllung der Pariser Forderungen Deutschlands wirtschaftlichen Tod in kurzer Zeit herbeiführt und die Arbeitsfreudigkeit in allen Ständen erlahmen muß, so daß die Entente selbst bei einer eigenen Uebernahme der Verwaltung niemals ihre Ziele erreichen wird, Deutschland zahlungsfähig zu erhalten. Es soll auch kein Hehl daraus gemacht werden , daß Zwangsmaßnahmen gegen Deutschland anarchistische Zustände zeitigen werden, die der Entente schwer zu schaffen machen werden. Trotz alledem wird die deutsche Regierung versichern, alle Mittel anzuwenden, um die Ententeregierungen zu einer Vernunftpolitik zu bewegen.

Quelle:

Allgemeine Thüringische Landeszeitung vom 10.2.1921

 

Bild:

Bundesarchiv Bild 183-2002-0507-500, Dr. Constantin Fehrenbach - Kabinett Fehrenbach – Wikipedia