100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Dunkle Wolken über Oberschlesien

Die in zwei Monaten bevorstehende Volksabstimmung über die Zugehörigkeit von Oberschlesien zu Deutschland oder Polen droht in massive Gewalt umzuschlagen. Nach dem Ende des Polnisch-Sowjetischen Krieges kommt es auf polnischer Seite der Grenze zu Truppenverschiebungen, wie dieser alarmistische Artikel zeigt.

Polnisches Abstimmungsplakat

Polnische Truppenzusammenziehungen.

Zuverlässige Nachrichten wissen von bedeutenden Truppenverschiebungen der Polen von der bolschewistischen Front an die polnische Westgrenze zu melden, und zwar in einem Umfange, daß von einer unmittelbaren Bedrohung Oberschlesiens gesprochen werden muß. Die Polen versuchen ihren auffallenden militärischen Maßnahmen zwar ein harmloses Mäntelchen umzuhängen; sie behaupten, ihre Soldaten seien erholungsbedürftig und würden in ihre Heimatorganisationen übergeführt, weil der polnisch-russische Waffenstillstand sie an der Ostfront entbehrlich gemacht habe, womit auch eine Erleichterung für den polnischen Staatssäckel verbunden sei. Weniger harmlose Gemüter, besonders solche, die die Verschlagenheit der polnischen Methoden und den Wunsch der Polen nach einer gewaltsamen Lösung des oberschlesischen Problems kennen, werden sich freilich durch solche Beruhigungspillen nicht um ihr gesundes Urteil über die gefahrdrohende Lage an der deutschen Grenze bringen lassen. Wie wir hören, hat auch die deutsche Regierung kürzlich Gelegenheit genommen, die fremden Mächte auf die durch die militärischen Maßnahmen der Polen geschaffene Gefahr durch ihre Vertreter aufmerksam machen zu lassen.

Nach zuverlässigen Nachrichten, die der deutschen Regierung zu Gebote stehen, dauern die Truppenverschiebungen schon seit einer Reihe von Wochen an, und zwar sowohl an die oberschlesische Grenze, als auch ins abgetretene Gebiet, nach Posen. Bis zum Schluß des vorigen Jahres hat die dadurch erreichte Truppenstärke eine Kopfzahl von gegen 100.000 Mann erreicht, was gegenüber der bis zum Beginn Oktober nachweisbaren Zahl etwa eine Verfünffachung der polnischen Militärkräfte in diesen Gebieten bedeutet. In den letzten paar Wochen sind aber noch weitere 70.000 Mann hinzugekommen, so daß bereits von einer stattlichen Armee gesprochen werden kann, deren Zweck offenbar nur einen Putsch in Oberschlesien – und zwar natürlich vor der Abstimmung – in sich schließen kann. Nimmt man aber noch die vielen nach Oberschlesien beurlaubten polnischen Soldaten und Offiziere – natürlich in Gestalt harmloser Zivilisten – hinzu und ebenso die rege Arbeit der Sokol- und sonstigen polnischen Vereine und Verbände in Oberschlesien, sowie die ermunternden Reden polnischer Generale vom Stile des Generals Haller, dann läßt sich nicht länger bezweifeln, daß Polen nur auf einen geeigneten Augenblick wartet, um zu Taten überzugehen.

Was steht dagegen an Verbandstruppen zur Verfügung, die doch pflichtgemäß dazu berufen sind, für die Ruhe und Ordnung in Oberschlesien zu sorgen? Nach zuverlässiger Schätzung sollen es gegen 10.000 Franzosen und 3.000 Italiener sein, wobei nur eins zu bemerken ist, daß die Franzosen mit ihrem Herzen ganz auf polnischer Seite stehen und somit für ein Eingreifen gegen polnische Aufstandsgelüste kaum in Frage kommen, die Italiener aber nicht nur wegen ihrer geringen Stärke, sondern auch wegen ihrer Zurückziehung auf das diesseits der Oder gelegene Gebiet keinen ernstlich ins Gewicht fallenden Faktor abgeben würden.

Quelle:

Der Deutsche vom 11.1.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0031.tif

 

Bild:

Plakat plebiscyt - Volksabstimmung in Oberschlesien – Wikipedia