Für die „geistige Ausbildung“ der Arbeiterschaft
Am 3. März 1921 eröffnet in Frankfurt am Main die Akademie der Arbeit, die sich auch heute noch der Erwachsenenbildung von Arbeitnehmern verschreibt. Den Hintergrund dieser Einrichtung stellt hier der sozialdemokratische Jurist Hugo Sinzheimer dar.
Die Akademie der Arbeit.
Von
Hugo Sinzheimer, Frankfurt a. M.
Die Bestrebungen nach der Gründung einer „Akademie der Arbeit“, deren Anregung ein Verdienst des Finanzministers Lüdemann ist, stehen vor ihrem Abschluß. Nachdem sich die freien Gewerkschaften in ihrer letzten Vertretersitzung grundsätzlich zustimmend ausgesprochen haben und auch die anderen Gewerkschaftsrichtungen zur Teilnahme bereit sind, ist das Interesse der gesamten Arbeiterbewegung (Arbeiter und Angestellten) am neuen Bildungsinstitut gesichert und die nötige finanzielle Unterlage für die Teilnahme von Funktionären an seinem Betrieb gefunden. Angesichts dieser Sachlage werden sich Reich und Staat ihrer Pflicht nicht entziehen können, die an sich geringfügige Summe für den Lehrbetrieb, der im Anschluß an die Universität in Frankfurt a. M. stattfinden soll, gemeinschaftlich aufzubringen.
Bis heute liegen trotz aller Verhandlungen noch keine bindenden Erklärungen der Reichs- und Staatsstellen vor. Es ist zu hoffen, daß in der auf den 8. Januar 1921 in Frankfurt anberaumten Sitzung, zu der die betreffenden Reichs- und Staatsstellen ihre Beteiligung zugesagt haben und die Vertreter aller Gewerkschaftsrichtungen, namentlich auch die Studienkommission des Gewerkschaftsbundes, erscheinen werden, endlich solche Erklärungen erfolgen, damit die Akademie der Arbeit im Frühjahr 1921 auch wirklich ins Leben treten kann. Die Arbeiterbewegung hat allen Grund, mit größter Spannung dem Ergebnis dieser Tagung entgegenzusehen.
Die Arbeiterklasse ist in wachsendem Maße von der Einsicht durchdrungen, daß es nicht nur wirtschaftlicher Mittel, sondern auch geistiger Mittel bedarf, um ihren Aufstieg zu vollziehen und die erkämpften Positionen in Staat und Wirtschaft zu behaupten. Das Bürgertum wurde groß und stark nicht nur durch die Erwerbsbedingungen, die es sich schuf, sondern auch durch die Bildungsanstalten, die es für seine Angehörigen ins Leben rief. Wenn sich heute das Bürgertum immer noch so stark behauptet, so liegt dies nicht nur an dem Kapitalverhältnis, sondern zum mindesten ebenso sehr an seiner geistigen Vorherrschaft, und wenn die Arbeiterparteien, auch die sozialdemokratische, oft so wenig Anziehungskraft auf die „Gebildeten“ ausüben, deren Lebenslage heute oft noch proletarisierter ist als die des eigentlichen Proletariats, so liegt dies durchaus nicht immer an ihren „bürgerlichen“ Vorurteilen, sondern an einem gewissen geistigen Widerstand: sie fürchten die Verständnislosigkeit der Arbeiterklasse für den besseren Beruf und die besonderen Bedingungen des Geistes. Darum kann es der Arbeiterklasse nicht eindringlich genug gesagt werden, daß sie sich mit neuen Mitteln den geistigen Dingen zuwenden muß, wenn sie auf die Dauer die Möglichkeiten zu ihrem Vorteil ausnutzen will, welche die politische und wirtschaftliche Demokratie unserer Zeit ihr bieten.
Aber brauchen wir dazu gerade die „Akademie der Arbeit“? Genügen dazu nicht Bildungseinrichtungen, welche Arbeiter für bestimmte praktische Einzelzwecke ausbilden? Es besteht der Plan, Wirtschaftsschulen für Arbeiter zu errichten. Sie sollen volkswirtschaftliche Mittelschulen nach Art der bestehenden Fachschulen, der Baugewerkschulen und der Maschinenbauschulen bilden und, soweit man bisher ihre Aufgaben erkennen kann, den Aufstieg des Arbeiters zu höheren Stellen im Wirtschaftsleben fördern. Solche Bildungseinrichtungen liegen zweifellos im Interesse des Arbeiters; sie zu fördern ist eine selbstverständliche Pflicht des heutigen Staates. Außerdem denkt man an Räteschulen, die Arbeiter und Angestellte durch Kurse von etwa vierwöchiger Dauer zur Ausübung der verschiedenen in der Gesetzgebung vorgesehenen Rätefunktionen vorbereiten sollen. Auch diese Veranstaltung ist dringend notwendig. Nur dann können die Räte, namentlich die Betriebsräte die wirtschaftliche und soziale Bedeutung erlangen, welche die Arbeiterklasse erstrebt, wenn ihre Mitglieder die zur Wahrnehmung ihres Amtes erforderliche geistige Ausbildung besitzen. Eine „Akademie der Arbeit“ wird deswegen nie den Anspruch erwecken dürfen, solche Unternehmungen verdrängen oder ersetzen zu wollen. Im Gegenteil: sie wird ihre Arbeit am fruchtbarsten möglichst im Anschluß an solche Unternehmungen zu betreiben suchen und, soweit es möglich und erwünscht ist, ihnen Lehrpläne und Lehrkräfte zur Verfügung stellen oder ausbilden. Die Eigenart der „Akademie der Arbeit“, welche sie für die geistige Entwicklung der Arbeiter und Angestellten unentbehrlich macht, besteht in dem besonderen Ziel, das gerade sie erstrebt.
Dieses Ziel liegt im Zentrum aller Bildungsarbeit. Die geistige Kraft als solche, nicht nur die spezielle Eignung für einen bestimmten Berufszweck, soll entwickelt und ausgebildet werden. Die Fähigkeit, in der Vielheit der Erscheinungen das Allgemeine zu erkennen, die Einzelaufgabe in den Zusammenhang des Geschehens einzuordnen, das geistige Leben selbst als ein Kulturgut, als einen Selbstzweck des einzelnen, der sein Dasein erhellt, zu begreifen, diese Fähigkeit bildet sich nicht von selbst, sie kann und muß gebildet werden. […] Die Arbeiterbewegung sehnt sich nach geistigem Leben. Es ist nicht wahr, daß sie nur wirtschaftlich denkt und nur wirtschaftlich zu befriedigen ist. Die „Akademie der Arbeit“ kann ein leuchtendes Wahrzeichen dafür sein, daß der deutsche Arbeiter nach dem Höchsten greift, um sich zu befreien.
Quelle:
Das Volk vom 3.1.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_01_0002.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00184376
Bilder:
WP Hugo Sinzheimer - Hugo Sinzheimer – Wikipedia
Ffm Campus Bockenheim EAdA 14 - Europäische Akademie der Arbeit – Wikipedia