Für und wider des neuen Mediums Kino
Die 1920er erleben den Durchbruch des Kinos als erstes massentaugliches Medium für bewegte Bilder. Der Aufstieg des neuen Mediums ist dabei von einer regen Debatte über die „sittlichen“ Bedrohungen, aber auch die Chancen für Bildung und „gute“ Unterhaltung werden betont.
Das gute und das schlechte Kino.
Persönliche Betrachtungen
zu dem Vortrag des Professors Dr. Brunner-Berlin am Dienstag, den 25. Januar, abends 5 ½ Uhr im Stadttheater,
Von P. Hübschmann,
Oberlehrer an der städtischen Oberrealschule.
Ueber „das gute und das schlechte Kino“ sprach am Dienstag Abend im überfüllten Stadttheater der bekannte Sachverständige für die Filmzensur, Professor Dr. Brunner-Berlin, Referent im preußischen Wohlfahrtsministerium. Der Freund des guten Kinos darf aus der überaus zahlreichen Anteilnahme des Publikums aus Jena-Stadt und Land und aus der Anwesenheit von Stadt- und Staatsbehörden vielleicht die Hoffnung schöpfen, daß man allmählich in weitesten Kreisen unseres Volkes zu dem Bewußtsein gelangt, daß das Kino mit seiner ungeheuren, suggestiven Gewalt auf die Massen als eine öffentliche Angelegenheit empfunden und behandelt werden muß, wenn man nach all der schweren geistigen und sittlichen Not, nach der Schmutzwelle der „Aufklärungsfilme“ und ähnlicher auf Erregung niedrigster Instinkte berechneter Erzeugnisse der nachrevolutionären Filmindustrie die Lichtbildbühne zu einer Stätte guter Volksbildung und Unterhaltung machen will.
Aehnliche Gedanken sprach auch der Vorsitzende des städtischen Lichtspielausschusses, Professor Dr. Weber aus, als er die zahlreich Erschienenen begrüßte und der Freude Ausdruck gab, in Herrn Professor Brunner eine Autorität auf dem Gebiete der Filmzensur und einen Redner mit reichen Erfahrungen gewonnen zu haben.
Dann sprach der Redner des Abends über das neue Lichtspielgesetz vom 12. Mai 1920 und schilderte vor allen Dingen den Geist und den tiefen Sinn, der diesem Gesetze innewohnt: Seine Einschränkungen und Verbote haben im innersten Grunde positive Ziele, die darin gipfeln, die großartige Erfindung der Kinematographie, die bisher, vielfach mißbraucht, zum Fluch an der Menschheit geworden war, wieder zum Segen umzugestalten. Liegen doch wunderbare Möglichkeiten im Film, die, ohne gewinnsüchtige Nebenabsichten erst einmal zutage gefördert, wertvolle Dienste für Schule und Wissenschaft, für Volksbildung und Volksunterhaltung, für Volkswohlfahrt und Volksgesundheit zu leisten vermögen. Gerade diese Erkenntnis hat bei aller noch so scharfen Verurteilung der schädlichen Auswüchse des tief gesunkenen Filmwesens dem Kino eine Menge wahrer Freunde erweckt, die volles Verständnis, wärmstes Interesse und rückhaltlose Anerkennung aufzubringen wissen für die guten Seiten dieser bedeutsamen Erfindung. […]
Auf Grund seiner vorzüglichen Kenntnisse der Materie schilderte dann der Verfasser in großen Zügen Wesen und Inhalt des Gesetzes, indem er immer wieder zeigte, wie das ganze Gesetz seiner Tendenz nach aufbauend im Sinne einer gesunden Reform wirken kann, die dem Film erst zu seiner vollen Bedeutung im Kulturleben unseres Volkes verhelfen soll. Trotzdem hat das Gesetz aus Kreisen der Kinoindustrie viele Anfeindungen erfahren. Besonders hat man sich beklagt, daß das Lichtspielgesetz ein gegen die Interessen der Kinoindustrie gerichtetes Ausnahmegesetz bedeute, obwohl in der Kinoindustrie gewaltige volkswirtschaftliche Werte angelegt seien und er trotz der Tatsache, daß schließlich das Lichtspiel ein kaum hoch genug einzuschätzendes Bildungs- und Unterhaltungsmittel für die breitesten Massen des Volkes darstelle. Tatsächlich ist die Filmindustrie die zweitgrößte Industrie in Deutschland geworden, die mit einem gewaltigen Aufwand an Kapital und Menschenkraft arbeitet, doch ist kein Wirtschaftskapital so wertvoll wie die Volkskraft und die sittliche Volksgesundheit, die gegenüber den verderblichen Einflüssen, wie sie seit Aufhebung der Zensur in den Haupterzeugnissen der Filmindustrie zutage traten, geschützt und gestärkt werden muß. Auch darin ist der Filmindustrie beizustimmen, daß sich der Film einer großen Beliebtheit in den allerweitesten Kreisen der Bevölkerung erfreut und eine solche Anziehungskraft erweist, daß man sich nur freuen könnte, wenn man nicht immer wieder sehen müßte, wieviel Häßliches und Gemeines, ja geradezu Verderbliches dem Publikum, und besonders auch der Jugend, dargeboten wird. Gerade diese Mißstände der Filmindustrie zu beseitigen, die, wie der Vortragende betont, zumeist nicht durch die Kinobesitzer verursacht werden, welche geradezu zwangsläufig das dem Publikum vorzusetzen gezwungen sind, was die Filmproduzenten ihnen an Material liefern, dazu bietet der negative Teil des Gesetzes in seinen Einschränkungen und Verboten eine kräftige Handhabe. Bezüglich der Ausnahmestellung, die dadurch geschaffen worden sein soll, daß Art. 118 der Reichsverfassung ausdrücklich für Lichtspiele eine gesetzliche Einschränkung durch die Zensur zuläßt, konnte der Redner feststellen, daß auch andere Gewerbe, die imstande sind, lediglich aus Profitgier, wie etwa bei Fälschungen von Nahrungsmitteln im Nahrungsmittelgewerbe, schwere Schädigungen am leiblichen Wohle des Volksganzen hervorzurufen, gleichfalls einer scharfen öffentlichen Kontrolle unterworfen sind.
Wie verrohend und entsittlichend solche Filme zu wirken vermöchten, die bereits der Zensur verfallen sind, erläuterte der Redner im zweiten Teile seiner Ausführungen an verschiedenen Filmausschnitten, die schon vor der Revolution durch Ortsgesetze der Polizeibehörden beschlagnahmt werden konnten. Bedenken aus der Versammlung, die wegen der Anwesenheit vieler Jugendlicher beim Abrollen dieser Filmproben laut wurden, verstummten bald, als sich die beabsichtigte Wirkung der Schundhersteller ins Gegenteil verkehrte und bei den grausigsten Mordszenen sich im ganzen Saal ein befreiendes Gelächter erhob, gewiß ein Zeichen dafür, daß Ausschnitte aus Filmen, die aus dem Rahmen der übrigen Handlung herausgenommen sind, durch die übertriebene Mimik der Darsteller vom Grausigen leicht ins Groteske und Komische verkehrt werden können. Nichtsdestoweniger zeigten diese Abschnitte dem denkenden Betrachter, welche Gefahren aus dem Film entstehen können, wenn die Filmindustrie nach freiem Ermessen schalten und walten dürfte und ähnliche Erregung niedrigster Triebe gerichtete Produkte ungehindert auf den Markt bringen könnte. Daß in ihrem weitaus größten Teil die Filmindustrie sich unwürdig der Freiheit gezeigt hatte, die sie nach Professor Brunners Meinung nur versehentlich erhielt, als am 12. November 1918 durch die Volksbeauftragten mit jeglichen Zensurbestimmungen auch die Vorprüfungen von Filmen aufgehoben wurden, das zeigte sich erschrecklich in der Flut von Schund und Schmutz die sich bald danach uneingedämmt über unser Volk ergoß und welche so abscheuliche Auswüchse erzeugte, daß weiteste Kreise diese Zustände als unerträglich empfanden, was schließlich zur Schaffung und Annahme des Lichtspielgesetzes in der Nationalversammlung mit überwältigender Mehrheit führte.
[…]
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 28.1.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273802/JVB_19210128_023_167758667_B2_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371243
Bilder:
Mitte Ufa-Lichtspiele Rand - Geschichte des Kinos – Wikipedia
CABINET DES DR CALIGARI 01 - The Cabinet of Dr. Caligari - Wikipedia