100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Kontroversen ums Innenressort

Während der Beratungen über den Haushalt des Reichsinnenministerium verteidigt der Minister Erich Koch-Weser (DDP) seine Politik. Neben der Bekämpfung von politischem Extremismus ist vor allem die Einwanderung von Juden aus Osteuropa ein umstrittenes Thema.

Demographische Karte, ~1895

Ostjudenfrage und Sicherheitswehr im Haushaltungsausschuß.

Im Hauptausschuß des Reichstages wurde bei der Fortsetzung der Beratung des Haushaltes des Ministeriums des Innern, Kapitel Auswanderungswesen, die Ostjudenfrage aufgerollt. Die unabhängige Abg. Frau Wurm griff die Regierung heftig an, weil sie zu scharf vorgehe, während auf der anderen Seite der deutschnationale Abg. Mumm die nötige Energie vermißte. Er fragt, was denn eigentlich geschehen sei, um dem Reichstagsbeschluß vom 20. August Geltung zu verschaffen. Mit Recht erwiderte der Minister Koch, daß die ganze Sache eine Angelegenheit Preußens sei. Niemand werde benachteiligt, aber Vorzugsrechte könnten irgendwelchen Ausländern nicht zugestanden werden. Die Judenfrage spiele dabei gar keine Rolle. Das Berliner Wohnungsamt habe sich gegen die Einwanderung der Ausländer nach Berlin wiederholt und energisch ausgesprochen, da für die Arbeiter keine Wohnungen zu beschaffen seien. Es kämen große Massen Ausländer mit gefälschten Pässen über die Grenzen. Etwa 80.000 Ostjuden seien eingewandert; Preußen habe sich bemüht, der Dinge Herr zu werden. Der Präsident des Reichswanderungsamtes teilte mit, daß im Jahre 1920 bereits 12.000 Deutsche ausgewandert seien. Der Zug gehe jetzt nicht nach Uebersee, sondern ins europäische Ausland. Der demokratische Abgeordnete Götz wünscht, daß an Stelle der Zwangsstellen des Wanderungsamtes private Vereinigungen treten; das Wanderungsamt dürfe keine leitende und bestimmende Zentralstelle sein. Nach Erledigung dieses Titels hielt der Abg. Breitscheid (USPD.) eine Anklagerede über die Sicherheitspolizei. Der Minister erwiderte, daß er während des Kapp-Putsches gezeigt habe, daß er auch gegen Rechts vorgehe. Es seien eine ganze Anzahl Verordnungen auch gegen Rechts erlassen. Wenn man die „Rote Fahne“ lese, so finde man, daß sie fortgesetzt zu Gewalttätigkeiten auffordere. Wenn er, der Minister, auch die Gefahr von Links nicht überschätze, so dürfe es doch zu keinen neuen Putschen kommen. Auf eine Anfrage des Abg. Pachnicke (Demokrat) erwiderte der Minister, daß der General Ludendorff bereits dementiert habe, daß er ehemalige deutsche Soldaten zum Eintritt in ausländische Heere auffordere. Andere Personen seien aber beteiligt, die Ermittlungen schwebten noch. Die Grenzpolizei habe sich Preußen nicht nehmen lassen, wegen der Ordnungspolizei schwebten die Verhandlungen, um dem Reich einen größeren Einfluß zu sichern.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 18.1.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273793/JVB_19210118_014_167758667_B2_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371234

 

Bild:

Verbreitung der Juden im deutschen Reich - Geschichte der Juden in Deutschland – Wikipedia