100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Ostpreußen als „Damm“, „Brücke“ oder Selbstbedienungsladen?

Als nordöstlichste Provinz des Reiches hatte Ostpreußen schon vor der Errichtung des polnischen Korridors einen Sondercharakter. Das rechtsnationalistisch orientierte Blatt Der Deutsche aus Sondershausen fürchtet um den die Bedrohung des Landes durch die „östlichen Völker“ und fordert ein großzügiges Agrarförderungsprogramm. Dieses Osthilfe genannte Programm wird 1926 eingeführt und Objekt des wichtigsten Korruptionsskandals der Weimarer Zeit.

Das Gut Neudeck in Ostpreußen - Streitobjekt im Osthilfeskandal

Ostpreußen und das Reich.

Was ist Ostpreußen dem Reich? Treitschke gibt darauf in seiner Schrift „Das deutsche Ordensland Preußen“ die treffende Antwort: „ein fester Hafendamm, verwegen hinausgebaut vom deutschen Ufer in die wilde See der östlichen Völker.“ Und wilder als je wogt heute dort im Osten diese See, die der Zusammenbruch des russischen Kaiserreichs in ihren Tiefen aufgewühlt hat. Notwendiger als je ist es, diesen Hafendamm in sich zu festigen und mit dem deutschen Ufer unlösbar zu verbinden. Denn der polnische Imperialismus legt um Ostpreußen seine Polypenarme, um es ringsum abzuschnüren, bis es ihm wie eine reife Frucht in den Schoß fällt. Vielleicht auch wie Danzig, es durch Vorspiegelung wirtschaftlicher Vorteile zu einem Anschluß an Polen, wenn auch zunächst unter Zusicherung nationaler deutscher Selbstständigkeit, zu verlocken. Es genügt nicht, dem allein die Stimmung und den gefühlsmäßig bestimmten nationalen Willen der Deutschen entgegenzustellen. Den drohenden Gefahren muß mit einem festen Ostpreußenprogramm entgegengetreten werden. Denn noch lange wird der Zusammenhang zwischen Ostpreußen und dem Mutterlande gefährdet und bedroht sein. Und stets hat planloses Experimentieren, programmloses Schwanken der Staatsgewalt der deutschen Sache im Osten geschadet. Nur ein einheitlich schaffendes „Ostmarkenprogramm“, wie das von 1902 bis 1910, kann hier helfen.

Vom Hafendamm Schutz der Heimat und des Reiches, das ist die erste Aufgabe Ostpreußens für das Reich. Schutz gegen die Wellen des Bolschewismus. Darum können wir unter keinen Umständen in die Auflösung und Entwaffnung der ostpreußischen Selbstschutzorganisationen willigen. Die uns vom Verbande gelassenen militärischen Kräfte reichen zum Grenzschutze Deutschlands und Westeuropas nicht aus. Aber die Aufgabe Ostpreußens gegen Osten ist auch friedlich in dem Brückencharakter dieser Grenzmark. Es ist für uns die wichtige Landbrücke über Lettland und Litauen zu dem russischen Hinterlande. Große Aufgaben und Aussichten liegen, viel mehr noch als früher, für Ostpreußen darin, daß es Verkehrs- und Durchfuhrland nach dem Osten für uns ist. Auch ist Ostpreußen eine Provinz des Ueberschusses für das deutsche Wirtschaftsgebiet, das ohne sie nach dem Verlust der Weichsel- und Warthe-Ebene gar nicht leben kann.

Droht dieser Grenzmark jetzt durch die Abschnürung vom Mutterlande und die polnische Verlockung eine Entfremdung vom Reiche? Nein. Man weiß in Ostpreußen: es ist keine Zukunft, es sei denn im Reich! Und die Zukunft in Osteuropa liegt nicht bei den Polen, sondern bei den Deutschen und Russen. Verlangt aber das Reich auch in schwierigen Umständen von Ostpreußen die alte Treue, so kann auch Ostpreußen verlangen, daß das Reich die schwierige Lage, in die Ostpreußen geraten ist, würdigt, alles tut, ihm darin und für die Erhaltung des Zusammenhanges zwischen ihm und uns zu helfen. Das gilt zuvörderst für die Wirtschaft, Ostpreußen als Ueberschußprovinz verlangt mit Recht, daß es für seine Ausfuhr ins Reich auch rationell und vorteilhaft einführen kann. Was da an weitgehender wirtschaftlicher Autonomie gefordert wird, muß geprüft und berücksichtigt werden. Hierzu bedürfen wir eines wirtschaftlichen Ostpreußenprogramms.

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Quelle:

Der Deutsche vom 27.1.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0091.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307480

 

Bild:

Gut Neudeck Sammlung Duncker - Osthilfe (Deutsches Reich) – Wikipedia