100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Rechtsradikale Umsturzpläne

Die sog. Organisation Escherisch (kurz: Orgesch) – benannt nach deren Anführer Georg Escherich – breitet sich über das ganze Reichsgebiet aus. Getarnt als vermeintlicher Selbstschutzverband vor kommunistischen Putschplänen bewaffnet sich die mehrere Hunderttausend Mitglieder umfassende Orgesch selbst und bildet so eine große Bedrohung für die Republik.

Festakt der Orgesch in München (Escherich auf der Bühne)

Die Orgesch-Vorbereitungen in Thüringen

Weimar, 20. Januar 1921.

Noch sind das Treiben und die Vorbereitungspläne der Orgesch im Waldenburger Industriegebiet Angelegenheit gerichtlicher Untersuchungen, als bereits wieder Lichtstrahlen in ein Dunkel bringen, das die bereits vor vierzehn Tagen von uns gemeldete Waffenschiebung in Erfurt umhüllte. Bekanntlich wurden, als die Oeffentlichkeit von der Erfurter Waffenschiebung unterrichtet war, durch das Reichsschatzministerium umfangreiche Verhaftungen veranlaßt. Was jedoch weiter geschah, und zumal wie das Ergebnis dieser Verhaftungen aussah, erfuhr die Bevölkerung nicht, da es bekanntlich unter der heutigen Justiz nicht angängig ist, das Treiben der besseren Gesellschaft, die nach Staatsautorität schreit – natürlich mit dem Polizeisäbel – auch der denkenden Masse bekanntzugeben. Bisher hat es die Justiz vermocht, allen reaktionären Machenschaften Vorschub zu leisten und peinlichst das Bekanntwerden reaktionärer Pläne zu verhindern, weshalb man sich auch diesmal nicht zu wundern braucht, daß erst von dritter Seite über die Waffenschiebungen in Erfurt Näheres verlautet.

Nach dem „Vorwärts“ wurde der in Erfurt verhaftete Werkmeister Keil von einem Hauptmann v. Frankenberger beauftragt – wie Keil nach seiner Festnahme eingestand – 200 Pirschbüchsen und 125.000 Patronen mit Stahlmantelgeschossen zu besorgen. Die Bestellung wurde bald auf 500 Gewehre erhöht und die Waffenfabrik Kirchner in Zella (Thüringen) mit der Herstellung beauftragt. Als Grund dieser Bestellung äußerte der inzwischen geflüchtete Hauptmann seinen Beauftragten gegenüber, daß in Thüringen mit „kommunistischen Aufstandsplänen“ zu rechnen sei und daß deshalb die Pirschbüchsen zur Abwehr dienen sollten. Von den 125.000 Schuß Munition hatte eine Fabrik in Durlach bereits 90.000 geliefert und diese zur Aufbewahrung einer gleichfalls vom „Vorwärts“ namentlich benannten Erfurter Firma übergeben.

Die ganze Angelegenheit kam ans Tageslicht, als Keil im Begriffe war, mit der Reichstreuhandgesellschaft, die für Frankenberger 25.000 Gewehrteile und 100.000 Patronen liefern sollte, gleichfalls einen Vertrag abzuschließen. Die nunmehr eingeleitete Untersuchung brachte Papiere in die Hände der Staatsanwaltschaft, aus denen hervorgeht, daß der flüchtige Hauptmann v. Frankenberger auch noch anderen Personen Aufträge zur Lieferung von Munition und Waffen erteilt hat. So wurde ein Kaufmann Graul in Erfurt beauftragt, 5.000 Militär-Kochgeschirre, 5.000 Brotbeutel, 2.000 Feldflaschen, 15 große Feldküchen, eine komplette Groß-Funkenstation usw. zu beschaffen. Das Weitere wurde in den beschlagnahmten Papieren sowie Verteilungsplänen für die Waffen gefunden und Personen namentlich angeführt, die diese Verteilung vornehmen sollten.

Wie die Staatsanwaltschaft bei der Untersuchung der Orgesch-Angelegenheit im Waldenburger Gebiet äußerste Zurückhaltung übte, so vermeidet sie auch in dem obigen Falle jeden scharfen Zugriff gegen die Hauptbeteiligten. Wir sind es bereits gewohnt, daß Leute in Offiziersuniform morden dürfen und sonstige rechtswidrige Taten begehen können, ohne dafür belangt zu werden, so daß man sich nicht sonderlich zu wundern braucht, wenn auch dem genannten Hauptmann die Flucht gelang und wenn auch bis heute die Staatsanwaltschaft nichts unternommen hat, um des Waffenschiebers in Hauptmannskluft habhaft zu werden. Das Thüringer Beispiel zeigt aber immerhin, daß die Rechtsbolschewisten trotz aller Verbote der Entente bezüglich des Waffentragens nicht in Verlegenheit kommen, sondern sich jetzt mit Pirschbüchsen bewaffnen, um ihre gegenrevolutionären Pläne durchzuführen.

Merkwürdig ist aber an dem obigen Falle, so kommentiert der „Vorwärts“ zu den Erfurter Waffenschiebungen, daß selbst die „radikalen“ Arbeiter der Thüringer Waffenfabriken, die unter der „revolutionären“ Führung der Gothaer Kommunisten stehen, die Kontrollrechte, die ihnen das Betriebsrätegesetz gibt, nicht einmal dann auszunützen verstehen, wenn es gilt, die Fabrikation von Waffen zu verhüten, die gegen sie selbst losgehen sollen. In der Tat, der Vorgang in Erfurt zeigt zum anderen auch, daß jene Leute, die bei den geringsten Anlässen das Mundwerk nicht weit genug aufreißen können, die richtige Sprache nicht zu finden verstehen, wenn es im Interesse Deutschlands und zumal in dem Arbeiterschaft notwendig wäre.

Quelle:

Das Volk vom 20.1.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_01_0107.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00194004

 

Bild:

Bundesarchiv Bild 146-2008-0333, Königsplatz, Festakt der Einwohnerwehren - Georg Escherich – Wikipedia