100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Reichsgründungsfeier für die Jugend

Das 50. Jubiläum der Proklamation Wilhelms I. zum deutschen Kaiser wird parteiübergreifend gewürdigt. Während die Linkssozialisten abseits stehen, wird der Tag von Seiten des Bürgertums mit emotionalem Engagement begangen. Dieser Bericht über die höhere Mädchenschule in Sondershausen verdeutlicht die nationalistische Aufladung des Tages.

Titelblatt des Simplicissimus zu "50 Jahre Reichseinheit"

Der 18. Januar in der Städtischen höheren Mädchenschule.

„Ans Vaterland, ans teure, schließ‘ dich an!“ – Diese Worte leiteten den Festvortrag der Oberlehrerin Frl. Heinrichs ein. Er war beseelt von dem Gedanken, daß der Geist und die Wesensart eines Volkes, die ihm innewohnenden verschiedenartigen Kräfte nach dem Willen Gottes sich in ihm auswirken sollen zu seinem Glück, zum Segen der Menschheit. In großen Zügen wurde auf die Geschichte unseres Volkes verwiesen als auf den starken Beleg für hohes vaterländisches und wachsendes nationales Bewußtsein in der Zeit von Preußens Erhebung im frühen Teile des vorigen Jahrhunderts, nachdem (während im Westen durch eine gewaltige Umwälzung ein französisches nationales Leben zur Entfaltung kam) Deutschland in seinen Denkern und Dichtern und durch diese eine wunderbare Vertiefung und Verinnerlichung seines Wesens erfahren hatte. Der Gedanke an nationale Einheit, nationale Freiheit fand immer bestimmteren Ausdruck nach langem vergeblichem Ringen und nach schweren Kämpfen, aus der Not geboren, seine Erfüllung am 18. Januar 1871 in Versailles durch den von Fürsten und vom Volk gewünschten Zusammenschluß der deutschen Stämme zum deutschen Reich mit gleichzeitiger, von freudiger Zustimmung getragener Erhebung Wilhelms I. zum deutschen Kaiser. Es hat seine hohe Berechtigung, daß dieser Tag, ein 18. Januar, nun nach fünfzig verronnenen glücklichen und widrigen Jahren festlich begangen wird, daß der Jugend der Gegenwart ins Gedächtnis zurückgerufen wird, was wir jener Zeit verdanken. Fester muß das Band aller Glieder unseres Volks untereinander wieder werden, klarer, tiefer das Verständnis für die Lage und für die dringenden großen Aufgaben unserer Nation; mit neuem Mut, neuer Arbeitsfreudigkeit, mit innerer Erhebung haben wir ans Werk des Wiederaufbaus zu gehen, dem Lenker der Völkerschicksale trauend, durch den diese Zeit, wenn wir sie recht verstehen, uns von ihr zurechtweisen lassen, ungeahnte Segenswirkungen sittlicher und nationaler Art zeitigen kann. Edle Worte von Schiller, Arndt, Fichte, Görres, Reinick, in den Vortrag eingeflochten oder aus dem Kreise der Schülerinnen zur Wiedergabe gebracht, verstärkten das gemeinsame Gefühl nationalen Bewußtseins, nationaler Begeisterung, nationalen Pflichtgefühls, das an diesem Erinnerungstage von neuem angeregt, gestärkt werden sollte und konnte. – Dem Danke gegen Gott, dessen wunderbare Führungen unser Volk ersichtlich in den vergangenen Jahrhunderten und besonders vor fünfzig Jahren erfahren hat, gab der Hymnus „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ Ausdruck, der Zuversicht in schicksalsschwerer Zeit das Lutherlied „Eine feste Burg ist unser Gott“, dem Gelöbnis des Treubundes ans Vaterland das Lied „Treue Liebe bis zum Grabe“ und dem heißen Segenswunsch für des Vaterlandes Heil und Rettung, für sein neues Emporblühen die Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland …“

Quelle:

Der Deutsche vom 19.1.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0062.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307473

 

Bild:

25_43.pdf (simplicissimus.info)