100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Tod eines Altkanzlers

Mit Theobald von Bethmann-Hollweg verstirbt Anfang Januar eine der wichtigsten politischen Persönlichkeiten seiner Zeit. Als Reichskanzler und Außenminister von 1909 bis 1917 hatte er im Vorfeld des Ersten Weltkrieges großen Einfluss. Das linksliberale Jenaer Volksblatt würdigt den verstorbenen Politiker in diesem Nachruf.

Theobald von Bethmann-Hollweg (1856-1921)

Bethmann-Hollweg.

Mit dem fünften Kanzler des Deutschen Reiches starb nicht wirkende Gegenwart. Zu breit ist der Abgrund, der trotz aller natürlichen Ununterbrochenheit eines Volksdaseins das neue Deutschland vom alten trennt, als daß etwa ein deutscher Giolitti dort wieder hätte beginnen können, wo der Weltsturz ihn aufzuhören zwang. Bethmann-Hollweg, auch der Lebende, wäre eine geschichtliche Erscheinung geblieben. Eben diese Ferne, in die der Entamtete schon bald nach seinem Sturze rückte, und die eine Folge seines Wesens, nicht seiner Entamtung war, beruhigt das Urteil über den Politiker Bethmann, oder sollte es doch tun. Der Mann, der in den entscheidungsreichsten Jahren ein deutsches Schicksal war, hat, von viel überlieferter Vergangenheit und einem schüchternen Hauch von Zukunft umwittert, niemals die unbedingte Gefolgschaft, die eindeutige Feindschaft erfahren, die den Taten des Gegenwartsmenschen werden. Wo er gehaßt wurde – und man weiß, wie tief er während des Krieges gehaßt war – galt der Haß nicht dem stärkeren Willen eines Staatsmannes, sondern dem wirklichen oder vermeintlichen Mangel an diesem Willen, richtete er sich nicht gegen den Handelnden, sondern gegen den Zögernden. Man kann auch so wenig sagen in ihm habe das neue Deutschland das alte bekämpft, wie man sagen kann, das alte Deutschland habe in ihm den Ausdruck seines Kampfes gegen das neue gesehen. Auch Bethmann-Hollweg gehört durchaus zum alten Deutschland, freilich an seiner Grenze und mit Blicken über seine Grenze. Sein Deutschtum war, im Bereich des jetzt vergangenen Zeitalters, das stille, geistige und nachdenkliche; es wurde darum von den Lauten und Ungeistigen dieses Zeitalters gehaßt. Der Kanzler, das war schon im Frieden fühlbar, gehörte zu den Staatsmännern, die mit dem klügsten Wort gerade verraten, was sie nicht können; die, weil sie die Notwendigkeit vereinfachten und einseitigen Handelns grundsätzlich sehr gut begreifen, der eigenen geistigen Persönlichkeit Gewalt antun und an unrechter Stelle versuchen, straff, unbeugsam oder verschlagen zu sein. Da ihnen der Sinn für Wirkungen fehlt, erreicht dies Erkenntnisopfer das Gegenteil dessen, was es bezweckt: Der Wohlmeinende scheint gewalttätig, der Vergeistigte störrisch, der Friedliebende kommt in den Ruf des Weltbedrohers; alles das, ohne daß die einfachen Naturen, denen die inneren Hemmungen des betrachtenden Menschen fehlen, darum aufhören, ihn zu hassen.

Es ist vergebliche Freundesmühe der von dem Reiz Bethmannscher Geisteskultur Gefangenen, seinen Willen für die Tat, seine Erkenntnis des Zieles für Beherrschung der Mittel, sein gewissenhaftes Bestreben für Unbeirrbarkeit oder gar seine Einsicht in die gelegentliche Unvermeidbarkeit des Machiavellismus für die Kraft zu machiavellistischem Handeln auszugeben. Bethmann hätte das Gewissen des Vorkriegsdeutschlands sein können, zuweilen war er es auch. Er hätte, an dem Machtglauben und an sich selber zweifelnd, das Heraufsteigen eines freien Staates (in dessen Wirklichkeit er sich nicht hätte hineinzufinden gewußt) behutsam vorbereiten können. Der Krieg mußte ihn hilflos finden. Damit ist freilich nicht gesagt, daß Deutschland auch während des großen Kampfes einen Besseren an seine Stelle zu setzen hatte; die Namen und das Schicksal der Nachfolger sprechen nicht dafür. Das Gefühl der Ausweglosigkeit, mit dem der Kriegspolitiker Bethmann in der eigenen Seele zu kämpfen hatte, wurde mit seinem Sturz einfach nach außen getragen, der Zusammenbruch, bis dahin inneres Erlebnis des Höchstverantwortlichen, ward offenkundig. Michaelis war ein Akt der Verzweiflung, Hertling der Ausdruck einer weit schlimmeren, nur noch Zeitgewinn erhoffenden Ratlosigkeit, als man sie jemals dem Kanzler Bethmann hatte vorwerfen können. Bethmann-Hollweg hatte im Sommer 1917 keine Partei. Der nächste Grund war, daß es in der Seele des Kanzlers selbst eine Bethmann-Partei nicht gab. Der andere: daß der unnachdenkliche Teil des alten Deutschland auch durch den nachdenklichen nicht mehr zu retten war.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 4.1.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273781/JVB_19210104_002_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371222

 

Bild:

 Theobald von Bethmann Hollweg - Theobald von Bethmann Hollweg – Wikipedia