Wider die Demokratisierung der Schule
Der traditionalistisch gesinnte Gymnasialdirektor Alfred Biese (1856-1930) macht in diesem Beitrag seinem Ärger über die Schulreformen Luft. Die „sinnloseste Revolution der Weltgeschichte“ habe auch der Schule nur Unordnung gebracht, so Biese. Tatsächlich bringt die frühe Weimarer Republik auch im Schulwesen so manche Neuerung, die bis heute Bestand hat.
Der Elternbeirat.
Von Geheimrat Dr. Alfred Biese,
Frankfurt a. M.
Die sinn-, weil ideenloseste Revolution der Weltgeschichte hat alles Vernünftige in sein Gegenteil verkehrt: der Obrigkeitsstaat, der Preußens und Deutschlands Größe in sich schloß, wurde durch die unerträglichste Tyrannei der „Masse“ verdrängt; aus dem Kampf gegen den Kapitalismus ging dessen widerwärtigste Form hervor; der Sozialismus, der den Bureaukratismus brechen wollte, erstarrt selbst in Bureaukratisierung; bei höchstem Papiermangel ersticken die Behörden in Papier von Verordnungen, und immer neue Organisationen werden ins Leben gerufen. Auch die Schule beglückte man mit einer neuen „Instanz“, die ein Zwitterding zwischen Aufsichts- und Gerichtsbehörde ist, dem Elternbeirat. In normalen Zeiten oder in vernünftiger Zusammensetzung kann er eine segensreiche Einrichtung bedeuten, die zwischen Elternschaft und Schule klärend und stützend, versöhnend und fördernd waltet. Aber in einer Zeit, wo die Brutalisierung des Lebens auf allen Gebieten vorherrscht und Anmaßung statt Sachkunde sich breitmacht, lauern hier allerlei Gefahren. Denn die Grundvoraussetzungen: guter Wille und Vertrauen, Beherrschung der Sache vor allem Takt sind heute seltener als je. Der Elternbeirat soll „nur beratender Natur“ sein. Das klingt sehr bescheiden. Er soll „Wünsche und Anregungen der Elternschaft“ dem Lehrerkollegium zum Ausdruck bringen. Gut! Aber was kann die bunt zusammengesetzte, von allen erdenklichen Stimmungen hin und her geworfene Elternschaft nicht alles wünschen! Könnte sie nicht auch den Abgang eines an sich verdienten Lehrers wünschen oder eine andere, persönliche Haltung oder andere Methode, mehr Milde oder mehr Strenge ihm zur Pflicht machen usw.? Könnte nicht aller Schutt von Klagen und Beschwerden von Jahrzehnten her beim EBR. abgeladen werden und könnte nun dieser sich nicht zu wohlweisen Verhaltungen, Ermahnungen und Drohungen veranlaßt fühlen? Viel Takt, viel Selbstbeherrschung gehören zur Erledigung so heikler Aufgaben. Zumal erfahrenen, ergrauten Lehrern gegenüber, die vom EBR. als Gäste eingeladen werden. Nicht der Leiter der Schule – und darin liegt der wunde Punkt der Einrichtung – führt in seinem eigenen Schulhause die Verhandlung, sondern der Vorsitzende des EBR. Die Lehrerschaft kann protestieren, sich wehren, in schlimmsten Falle das Lokal verlassen und einer neuen Einladung die Folge versagen u. a. m.; aber damit ist die Sache selbst nicht gefördert. Elternbeirat und Lehrerkollegium müssen eben von einer Ueberzeugung gleichmäßig durchdrungen sein, und diese lautet: Eine Gemeinschaft und ein gedeihliches Zusammenwirken ist nur möglich auf Grund von Vertrauen und Achtung, von Sachlichkeit und Selbstzucht.
Quelle:
Der Deutsche vom 8.1.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0022.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307461