Wie umgehen mit dem Kreml?
Die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu Russland spalten den Reichstag. Außenminister Dr. Walter Simons hat einige Auflagen, die zunächst von russischer Seite zu erfüllen sind, bevor eine derartige Zusammenarbeit infrage kommt. Von der linken Seite des Hauses gibt es Kritik. Generell zeigt sich die Jenaische Zeitung nicht allzu zufrieden mit dem Gebaren der Linken.
Deutscher Reichstag
Reichstagsstimmungsbild. Die unabhängige Interpellation über die Aufnahme der wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Rußland, die am Freitag das Interesse der Reichstagssitzung in besonderem Maße in Anspruch nahm, hätte schon längst erledigt sein können ohne die Vielrederei der Linken über den Belagerungszustand in Bayern und bei der Verabschiedung der Beamtenbesoldungsvorlage. Am Freitag kam die immer wieder verschobene Angelegenheit endlich zur Sprache. Herr Crispien, der die Interpellation namens der Unabhängigen begründete, zeigt auch bei diesem Thema nichts von Temperament und Leidenschaft, sondern breitete sich mit seiner bekannten öligen Manier darüber aus, daß in dem heutigen Rußland große wirtschaftliche Werte geschaffen würden und daß sich das Auswärtige Amt durch die Pressereaktion – er vergaß dabei natürlich auch nicht von Stinnes zu sprechen – den Rücken gegen Rußland stärken lasse. Sofort nach Herrn Crispien erhob sich Dr. Simons zu einer geschickt angelegten Rede, die die Haltung der deutschen Regierung rechtfertigte. Dr. Simons unterschied bei der Betrachtung der russischen Verhältnisse und bei der Frage der Wiederaufnahme der gegenseitigen Beziehungen geflissentlich zwischen der Sowjet-Regierung und dem russischen Volke. Er hob hervor, daß die Entwicklung der im russischen Volke steckenden produktiven Kräfte die Voraussetzung für die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen sei.
Davon hänge auch die Regelung der russischen Wirtschaft selbst ab. Ferner hänge damit zusammen die Regelung des Transportwesens, die Beendigung des alle Wirtschaft hemmenden Kriegszustandes. Eine unbedingte Voraussetzung aber sei die Einstellung der russischen Propagandatätigkeit in Deutschland. Gerade in diesem Punkte verlangte Dr. Simons mit Recht ein entsprechendes Verhalten Russlands, als der Mindestvoraussetzung, auf deren Erfüllung Deutschland Anspruch machen müsse. Wenn er im Sommer, so erklärte Dr. Simons weiter, Sowjet-Rußland ein freundliches Gesicht gemacht habe, so liege es daran, daß damals nach seinen Informationen in Rußland der Plan erwogen wurde, von dem bislang verfolgten wirtschaftlichen Extrem abzugehen. Leider sei es bei dem Plan geblieben. Weiter wies Dr. Simons darauf hin, daß den gegenseitigen Beziehungen Rußlands und Deutschlands der Versailler Vertrag und die Randstaatenpolitik, die dort festgelegt sei, im Wege stehe. Das Haus, das leider wie immer mäßig besetzt war, spendete Beifall. Der Widerspruch der äußeren Linken verstummte auch ziemlich rasch und erhob sich erst in voller Gehässigkeit wieder, als Dr. Simons erklärte, daß eine volle Sühne des Moskauer Gesandtenmordes die Vorbedingung einer jeden Aufnahme der Beziehungen zu Rußland sei. Als er weiter erklärte, daß die Moskauer Regierung durch Herrn Kopp ihr Einverständnis mit dieser Forderung bereits erklärt habe, mußten die Kommunisten ihren Lärm verstummen lassen. Die russische Regierung hat übrigens, abgesehen von dieser formellen Zusage, nichts wieder von sich hören lassen. Die Rede des Ministers Dr. Simons machte einen guten Eindruck.
Quelle:
Jenaische Zeitung vom 22.01.2021
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00283700/JZ_JenaischeZeitung_169419428_1921_0097.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00400699
Bilder:
CrispienArthur - Arthur Crispien – Wikipedia
Bundesarchiv Bild 102-12279, Walter Simons - Walter Simons – Wikipedia