100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Annahme oder Untergang

Auf die Ablehnung des Londoner Beschlusses durch die Reichsregierung reagiert die Entente mit der militärischen Besetzung weiterer westdeutscher Städte, was in der deutschen Presselandschaft als Bruch des Friedensvertrages gewertet wird. Dem Deutschen Reich bleibt faktisch nur die Annahme der Entente-Forderungen übrig, was aber nicht von allen Regierungsparteien so gesehen wird. Das sozialdemokratische Blatt „Das Volk“ sucht die Verantwortung für die Krise bei der DVP.

Reichskanzler Constantin Fehrenbach (Zentrum)

Nach dem Bruch

Die Regierung Fehrenbach erschüttert

Der Bruch des Friedensvertrages durch die Entente wird von der französischen Presse unter dem gleichzeitigen Beifall englischer Blätter bejubelt. Wir können in diesem Benehmen nur einen Mangel jeglichen Rechts- und Wahrheitsgefühls erblicken; denn wer die jetzigen Aktionen der Entente mit dem Friedensvertrag vereinbar erklärt, ist bar jeder Objektivität bei der Auslegung des Friedensvertrages – oder offen gesagt – nicht mehr zurechnungsfähig. Jeder Laie liest aus den von der Entente zur Begründung ihrer Maßnahmen angeführten Paragraphen keine Berechtigung zu Sanktionen, weshalb der Vormarsch der Entente in den rheinischen Gebieten tatsächlich, wie der „Vorwärts“ in seiner gestrigen Abendausgabe sagt, völkerrechtlich „als ein neuer Kriegsbeginn“ zu betrachten ist. Selbstverständlich können wir dem vertragswidrigen gewaltsamen Einmarsch nur mit geistigen Waffen gegenübertreten. Anders die Kommunisten! In der gestrigen Abendausgabe der „Roten Fahne“ fordern sie zum „aktiven Eingreifen in die Krise“ auf. Unter gleichzeitiger Propagierung des Anschlusses an Rußland wird den Nationalisten noch der Vorwurf der Schüchternheit im gegenwärtigen Augenblick gemacht, weil diese bisher noch von der Aufforderung zu aktiven Maßnahmen abgesehen haben. Immerhin aber fühlen sich die Kommunisten mit den Nationalisten insofern einig, als auch diese jede Verpflichtung aus dem Versailler Vertrage für gegenstandslos erklären und auffordern, der Entente keine Kohlen, keinen Pfennig für die Besatzung auszuhändigen und den alliierten Kommissionen in Deutschland jedes Stück Brot vorzuenthalten. Wir können hierzu nur sagen, daß sowohl die Parole der äußersten Linken wie der äußersten Rechten widersinnig ist, denn ein aktiver Eingriff bedeutet neuen Krieg, an dem in Deutschland nur noch wenige Leute Gefallen finden, während die Vorenthaltung der Kohlen usw. gleichfalls nur neue Krisen heraufbeschwören kann. So einfach, wie sich die genannten Kreise die Bekämpfung des Vertragsbruches durch die Entente denken, geht die Sache denn doch nicht. Ganz abgesehen davon, daß uns die Sabotage der Versailler Verpflichtungen, soweit sie mit unserer Uebereinstimmung festegelegt wurden, nur neuen Zwang auferlegen würde, dürfen wir uns nicht die Handlungsweise der Entente zu eigen machen. Unseres Erachtens können wir das moralische Recht auch weiterhin nur dann auf unserer Seite haben, wenn wir dem nachkommen, wozu wir uns verpflichtet haben. Nur so können wir umso schroffer das ablehnen, was man von uns jetzt abermals durch ein Diktat verlangen will.

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Außenminister Walter Simons (parteilos)

Angriffe auf den Außenminister

Noch ehe Simons heimische Boden wieder betreten hat, scheint auch ein konzentrischer Angriff gegen den Reichsaußenminister zu entwickeln. Seine Gegner sind nicht nur die Deutschnationalen, sondern noch viel mehr schwerkapitalistische Kreise, die ihm sein weites Entgegenkommen in London hart anrechnen. In den Kreisen der Sachverständigen herrscht große Mißstimmung darüber, daß das Kabinett und Simons weit über die Vorschläge der Sachverständigen hinausgegangen sind. Man darf sagen, daß Simons mindestens in der Deutschen Volkspartei als erledigt anzusehen ist. Er wird zwar zweifellos keine Neigung haben, nach dem schweren Mißerfolg in London sein dornenreiches Amt weiter fortzuführen; ob freilich irgend ein anderer Unterhändler in London mehr erreicht haben würde, ist uns sehr zweifelhaft. Die Sozialdemokratie hat keinen Anlaß, Herrn Simons Vorwürfe zu machen, weil er sich alle Mühe gab, den Bruch zu verhindern. Damit wollen wir nicht sagen, daß es richtig war, in London Angebote zu machen, von denen es höchst unsicher ist, ob sie durchgeführt werden können. Ob die Krisis sich auf den Wechsel im Ministerium des Auswärtigen beschränken wird, ist noch ungewiß. Es besteht mindestens die starke Möglichkeit, daß die gesamte Regierung Fehrenbach diese schweren Tage nicht übersteht. Der ehrenwerte Mann Constantin Fehrenbach ist sicher nicht das Ideal eines Reichskanzlers in einer geschichtlichen Situation, die harte Entschlüsse und geschicktes Auftreten erfordert. Wir weisen auf die Wahrscheinlichkeit von Krisen in den einzelnen Ministerien hin, ohne uns deshalb über die Frage, welche neuen Männer eintreten sollen, den Kopf zu zerbrechen. Das ist im Wesentlichen eine Aufgabe der jetzigen Koalitionsparteien. Unsere Partei gibt keinen Anlaß, weder die Regierung zu stürzen noch sie durch unseren Eintritt zu stärken. Wenn das Kabinett Fehrenbach in einigen Tagen fallen sollte, ist es dem Drucke schwerindustrieller Kreise in der Deutschen Volkspartei erlegen.

Quelle:

Das Volk vom 9.3.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_03_0397.tif

 

Bilder:

Bundesarchiv Bild 183-R18733, Constantin Fehrenbach - Kabinett Fehrenbach – Wikipedia

Bundesarchiv Bild 102-12279, Walter Simons - Kabinett Fehrenbach – Wikipedia