100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Erzbergers Unschuld

Vor knapp einem Jahr musste Reichsfinanzminister Matthias Erzberger (Zentrum) seinen Rücktritt erklären, nachdem der öffentliche Druck auf ihn aufgrund eines angebliche Korruptionsskandals zu groß geworden war. Nun ist seine Unschuld gerichtlich bestätigt worden, doch das Presseecho auf diese Nachricht ist gering. Erzberger versucht Aufmerksamkeit für sein Anliegen zu schaffen, wie dieser Artikel darlegt.

Heutige Erzberger-Straße in Freiburg

„Ein politischer Skandal ohnegleichen.“

Erzbergers Steuerangelegenheit.

Die „Germania“ veröffentlicht ein Schreiben des Abgeordneten Erzberger an den Geschäftsordnungsausschuß des Reichstags, in welchem Erzberger auf das dringendste ersucht, die Genehmigung zur Einleitung eines Verfahrens gegen ihn wegen Steuerhinterziehung zu erteilen, „damit einem politischen Skandal ohnegleichen endlich ein Ende bereitet werden kann“. Erzberger schildert, wie Anfang 1920 bei dem zuständigen Finanzamt Charlottenburg seine Steuerakten gestohlen und photographiert und dies Material dann in deutschnationalen Zeitungen veröffentlicht wurde. Am 9. März 1920 ließ die Regierung eine Mitteilung verbreiten, daß die Untersuchung ergeben habe, daß wissentlich unrichtige Angaben mit der Absicht der Steuerhinterziehung nicht gemacht seien. Ebenso kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, daß keine Steuerhinterziehung vorliege und keine Nachsteuer zu entrichten sei. Auch der Präsident des Landesfinanzamtes schloß sich dieser Entscheidung an. „Das preußische Finanzministerium“, heißt es dann weiter in Erzbergers Schreiben, „ließ die Sache wieder nahezu zwei Monate unerledigt liegen und hat trotz der Stellungnahme der Vorinstanzen aus politischen Gründen meine Steuerakten zur erneuten Feststellung des Tatbestandes an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Nach einer peinlichen Untersuchung durch das zuständige Finanzamt, wie sie wohl gegenüber keinem zweiten Steuerzahler in Preußen bisher geführt worden ist, nach einer einjährigen maßlosen, unwahren Hetze meiner politischen Gegner, nachdem mehrere Instanzen erklärt haben, daß kein Grund zu einem Einschreiten gegeben sei, wird nun aus politischen Gründen nach einer bisher unerhörten Verschleppung der ganzen Angelegenheit – seit Ende März 1920 hat keine Untersuchungshandelung zu einer etwaigen weiteren Aufklärung des Sachverhalts mehr stattgefunden – die Steuersache an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Die hier geschilderten Vorgänge zwingen mich, von einem ganz unerhörten politischen Skandal gegen meine Person zu sprechen, rechtfertigen aber auch meine dringende Bitte, dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einleitung der Untersuchung wegen angeblicher Steuervergehen alsbald stattgeben zu wollen.“

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 1.3.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273829/JVB_19210301_050_167758667_B2_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371272

 

Bild:

Matthias-Erzberger-Straße in Freiburg hieß früher Gallwitzstraße - Matthias Erzberger – Wikipedia