Hängepartie in Preußen
Die Wahlen im Freistaat Preußen am 20. Februar brachten keinen klaren Sieger und dementsprechend unsicher ist die Regierungsbildung in Deutschlands größtem Land. „Das Volk“ regt sich über die Rolle der DVP auf, deren Zuwächse eine Neuauflage der bisherigen Weimarer Koalition schwierig machen. Denn das Zentrum möchte die Koalition erweitern, was auf starken Widerstand nicht nur in der SPD stößt.
Zur Regierungsbildung in Preußen.
Die Sozialdemokratie lehnt eine Koalition mit deutscher Volkspartei entschieden ab.
Resultat der interfraktionellen Besprechung.
Die alten Koalitionsparteien des Preußischen Landtages – Sozialdemokraten, Demokraten und Zentrum – traten am Mittwoch um 7 Uhr zu erneuten Besprechungen über die Bildung der preußischen Regierung zusammen. Von der sozialdemokratischen Fraktion waren Siering, Limbertz und Heilmann, für das Zentrum Herold, Busch und Gronowski, für die Demokraten Dominicus, Preuß und Otto anwesend. Die Sozialdemokraten gaben die Erklärung ab, daß sie eine Koalition mit der Deutschen Volkspartei ablehnten. Umgekehrt erklärte das Zentrum, daß es eine neue Regierungskoalition in Preußen nur unter Hinzuziehung der Deutschen Volkspartei schließen werde.
Die Demokraten empfahlen, daß die beiden Parteien zunächst einmal die Deutsche Volkspartei fragten, unter welchen Bedinungen und mit welchen Grundsätzen sie in die Preußische Regierung eintreten wolle. Die Sozialdemokraten erwiderten, daß die Deutsche Volkspartei die Beantwortung dieser Frage mit Recht ablehnen würde, nachdem ohnedies feststehe, daß die Sozialdemokraten eine Koalition mit der Deutschen Volkspartei in Preußen nicht schließen würde.
Es wurde daher festgestellt, daß vorläufig eine Einigung über die Regierungsbildung nicht in Aussicht stehe. Der Landtag werde sich darauf beschränken müssen, sein Präsidium zu wählen und die Frage der Regierungsbildung bis nach Ostern zu vertagen. Inzwischen müßten die bisherigen Minister und parlamentarischen Staatssekretäre ihre Aemter fortzuführen.
Diese entschiedene Haltung der preußischen Landtagsfraktion, auf jeden Fall eine Koalition mit der Deutschen Volkspartei abzulehnen konstatieren wir mit freudiger Genugtuung und wird diese feste Haltung der preußischen Genossen speziell in Thüringen lebhaft begrüßt werden. Wir hatten eine andere Haltung auch nicht erwartet.
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Was will das Zentrum?
Beim Zentrum liegt die Entscheidung über die Regierungsbildung in Preußen. Ohne das Zentrum kann keine Regierung gebildet werden. Das Zentrum hat zwei Möglichkeiten der Regierungsbildung. Es kann nach rechts mit der Volkspartei und den Deutschnationalen eine Regierung bilden, die 230 Abgeordnete hinter sich hätte. Dieselbe Anzahl Abgeordnete hätte eine Regierung mit breiterer Grundlage unter Hinzuziehung der Volkspartei. Es bedauert, daß die Sozialdemokratie sich gegen die Volkspartei festgelegt habe, beschließt aber ebenso einmütig wie die Sozialdemokraten das Gegenteil, an der Zuziehung der Volkspartei festzuhalten. Es hält einmal aus nationalen Gründen diese Zuziehung für nötig, um dem Ausland zu zeigen, daß eine auf breiter Basis beruhende Regierung erstanden ist. Natürlich geht die Beweisführung für Preußen völlig fehl, da Preußen nicht die deutsche Außenpolitik zu führen hat. Aber auch im Reiche kommt es weniger auf die breite Basis an, als auf die Tatsache, daß Deutschland eine ehrlich republikanische und friedliebende Regierung hat, und das ist natürlich ohne die Volkspartei, aber nicht mit ihr der Fall.
Das Zentrum glaubt auch mit der Volkspartei eine Politik in Preußen machen zu können, die dem Volkswohl entspricht, und ein Arbeiterführer des Zentrums meinte bei den interfraktionellen Verhandlungen, man müsse die Volkspartei, die doch schon viel gelernt habe, einbeziehen. Die Provokation des Auslandes, wie sie Stinnes und Tirpitz in diesen Tagen verübten, halten die Zentrumsleute für eine Eselei. Sie wollen die symptomatische Bedeutung dieses Vorganges nicht sehen, sie verschließen auch die Augen vor der Tatsache, daß die Kämpfe zwischen der Arbeiterschaft und den Unternehmern von der Stinnespartei immer heftiger werden.
Das Zentrum hat die Verhandlungen nicht schroff abgebrochen, sondern selbst den Vorschlag gemacht, die Geschichte einstweilen mal laufen zu lassen und die Regierungsgeschäfte durch die zurücktretenden Minister der alten Koalition weiterführen zu lassen.
Worauf das Zentrum hofft, liegt auf der Hand. Trotz der neuerlichen deutlichen Absage unserer Genossen im Reichstage erwartet es von den feindlichen Bedrückungen die Wirkung, daß unsere Genossen im Reiche wieder in die Regierung eintreten. Es hofft nach Ostern dann auch einen günstigeren Boden für ferne Vorschläge zu finden.
Infolge dieses Verhaltens des Zentrums liegt auf unseren Genossen im Reichstage eine große Verantwortung. Sie dürfen und brauchen nicht in eine Reichsregierung mit der Volkspartei eintreten. Sie können und sie werden wieder eintreten, wenn Neuwahlen im Reich das zu erwartende Ergebnis bringen: eine tragfähige Mehrheit für die alte Koalition.
Im übrigen kann die Sozialdemokratie in Preußen die kommenden Dinge seelenruhig abwarten. Die Möglichkeit, eine Regierung zu bilden, die mehr als 230 Abgeordnete hinter sich hat, besteht nicht. Das Zentrum hat die Wahl, ob es sich nach rechts oder links entscheiden will. Da die christlichen Arbeiter energisch die Zusammenarbeit in der Regierung mit den Deutschnationalen ablehnen und selbst Herold gegen eine solche Bildung ist, sind wir gespannt auf die endgültige Entscheidung des Zentrums.
Quelle:
Das Volk vom 11.3.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_03_0413.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00190728
Bilder:
Bundesarchiv Bild 102-10131, Otto Braun - Otto Braun – Wikipedia