100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Keimzelle des Hasses

Zu Beginn der 1920er Jahre ist die NSDAP nur eine Kleinstpartei unter vielen, die aufgrund ihrer besonders radikalen Rhetorik aber dennoch auf sich aufmerksam machen kann. Im rechten Lager wird die Partei jedoch mit Interesse beobachtet, wie dieser Artikel im rechtsnationalistischen „Deutschen“ aus Sondershausen belegt.

Hitler-Zeichnung von Emil Stumpp (von 1933)

Die National-sozialistische Arbeiter-Partei.

Von Dr. Otto Helmut Hopfen, Starnberg.

Eine am 6. März in München, vor gedrängten Tausenden, gehaltenen Protestreden des Gründers und Vorsitzenden Drexler und des Hauptsprechers Hitler der national-sozialistischen Arbeiterpartei München waren vermutlich das Schärfste, was in diesem Augenblick von deutscher Seite anläßlich der Londoner Konferenz kundgetan worden ist. Hervorgegangen aus einer Arbeiterkampfvereinigung gegen Wucher und Schieber, eine Zeitlang im Bunde mit einem Verein für einen Arbeiterfrieden, steht diese Partei im Bunde mit einem Verein für einen Arbeiterfrieden, steht diese Partei auf der grundlegenden Ueberzeugung, daß die Alljudenschaft in Paris und London und Berlin, ja auch in Moskau ein unter sich abgekartetes Spiel treibt. Die Londoner Konferenz wäre nur eine Etappe dieser Macht, alle, die dem Verschachern der deutschen Arbeitskraft und der deutschen Lebenswürdigkeit Hilfe leisten, indem sie zu Verhandlungen raten und ruhig Blut, Mäßigung und nur sanft gedämpfte Wut und Empörung heischen, sind mitschuldig. Hauptsächlich trifft das den Reichstag und alle parlamentarischen Parteien. Die National-Sozialisten selbst nämlich haben sich endgültig dahin entschlossen, von sich aus keinen Kandidaten aufzustellen. Das parlamentarische System ist ihnen als unsinnig zur Rettung Deutschlands, ja als verrucht deutlich geworden; und so nimmt es nicht wunder, daß bei dem vielfachen Hervortreten in Stadt und Land die National-Sozialisten seit jüngstem auch die Deutsch-Nationalen angreifen. Verstärkt ist der Unwille durch das Auftreten Dr. Helfferichs, da dieser als geschäftlich an Dernburg gebunden gilt. Die Deutschnationale Partei bleibt an Schärfe des Antisemitismus hinter den Wünschen der National-Sozialen zurück.

Bruch mit dem parlamentarischen System, Diktatur für längere Jahre, Prozeß gegen die frühere und jetzige Regierung und Parlamentsführung, strengstes Fremdenrecht gegen die Juden, Brechung der Zinsknechtschaft der Staatsanleihen, Abschaffung der Bodenspekulation, mit einem Worte allseitiger und bedingungsloser Kampf ist die Losung.

„Wir wollen“, sagt Hitler, „das Volk aufregen. Und nicht nur aufregen, aufpeitschen wollen wir es. Wir wollen den Kampf predigen, den unerbittlichen Kampf gegen diese ganze parlamentarische Brut, dieses ganze System, das nicht eher enden wird, ehe nicht Deutschland entweder vollständig zugrunde gerichtet ist oder eines Tages irgendein eiserner Schädel kommt, vielleicht auch mit schmutzigen Stiefeln, aber reinem Gewissen und stählerner Faust, der diesen Parkethelden das Reden beendet und der Nation die Tat schenkt.“

NSDAP-Delegation auf dem "Deutschen Tag" in Coburg 1922

Was bedeuten nun diese Kreise und wie groß sind sie? – Wenn die Bedeutung an die Zahl gebunden wäre, so wäre diese Bewegung sehr unbedeutend. Immerhin wird es aber doch manchem zu denken geben, daß in München bereits 3.000 Mitglieder sich eingeschrieben haben, daß in dem kleinen Rosenheim 800 gezählt werden und daß die Ortsgruppen auf 25 gewachsen sind. 20 Redner könnten ausgiebig zu tun haben, wenn man sie hätte. Dabei beschränkt die Partei ihre Tätigkeit einstweilen auf Mittel- und Südbayern. Sie kann die angegebene  Zahl der Redner von Bedeutung nicht haben, weil das einen solchen Schatz charakterreiner, taktfester, gebildeter und politisch begabter geistiger Arbeiter in ganz Deutschland voraussetze, wie er kaum in höchster Blütezeit, nicht aber in solcher Zeit des Zusammenbruches plötzlich möglich ist. Dieser kleine Kreis kann diese Rednerzahl um so weniger haben, weil er zwar den geistigen Arbeiter fördern will und in seine Reihen zieht, trotzdem aber betont, daß 70 v. H. seiner Leitenden Handarbeiter sind und weil er die Forderung vertritt, daß die Angestellten, also ein besonders tüchtiger Teil der geistigen Arbeiter der Partei nicht nur keine Stimme haben, sondern jeden Tag den sie anstellenden Arbeitern zur Rechenschaft und Absetzung bereit stehen müssen. Ueberdies bezahlt sie ihre eigentlichen Führer nicht. Man sucht hierdurch dem berüchtigten Geschäftspolitikertum der Vertreter aller Parteien, sonderlich aber dem üblichen Werdegang des wohlgesicherten sozialdemokratischen Führers in Gewerkschaft und Partei ideal vorzubeugen. In gleicher Richtung geht die verstärkte Verneinung jedes arbeitslosen Einkommens. Und doch ist der Erbübergang auch des kleinsten Hauses und Gartens an den Sohn oder Schwiegersohn durch ermöglichte Freiwohnung ein arbeitsloses Einkommen. So gern in diesem Beispiel von den National-Sozialisten ein Zugeständnis des wünschenswerten Besitzes gemacht wird, so eifrig wird doch das Schlagwort des arbeitslosen Einkommens gebraucht. Es ist anzunehmen, daß diese Kreise durch die Erfahrung gezwungen sein werden, in diesem Punkte bedeutende Einschränkungen zu machen. Das gleiche gilt für das verhängnisvolle Treiben, das durch Nichtbezahlung der Führer dem arbeitslosen Einkommen die Ausnutzung eines einkommenslosen Arbeiters und geistigen Arbeiters zugesellt. Wer, um leben zu können beispielsweise viele Stunden des Tages am Amboß oder an der Drehbank stehen muß, wird mit seinen Nerven bald zu Ende sein, wenn er nebenher in Verwaltung und Rednertätigkeit des Führers einer geistigen und politischen Bewegung mit solcher Kampfleidenschaft wie hier sein will und sein muß. Sobald man in diesem an alle ehrenfesten und selbstbewußten Politiker herantretenden Zwiespalt zwischen Bezahlung und Unabhängigkeit das ererbte oder erheiratete, also vielfach arbeitslose Einkommen ausschaltet, so bleibt im allgemeinen nur zweierlei: einmal Schaffung eines Einkommens aus dem eigentlichen, nämlich dem politischen Berufe oder geistige und körperliche schwere Unzuträglichkeiten mit schließlichem Zusammenbruch unter der Last des Doppelberufes. Eine Partei freilich wie die National-Sozialistische, die trotz der glänzenden Entlohnung des heutigen Handarbeiters diesem nur einen Jahresbeitrag von 50 Pfg. statt 50 M. zumutet, tut sich in dem Punkte recht hart. Von irgend etwas muß eben auch der idealste geistige Arbeiter selbst in Deutschland leben.

[…] Kein Zweifel, daß ein großer Teil der Bevölkerung mit den Führern Drexler und Hitler sympathisiert, auch ohne sich als Mitglieder ihrer Partei eintragen zu lassen. Dies gilt vom bürgerlichen wie vom Arbeiterkreis. Leute, wie diese beiden, die im Unterschied jener Uebung, die den Anhängern alles verspricht und nichts hält, gar nichts versprechen, aber die hinreißende Kraft ehrlicher Ueberzeugung und Selbstlosigkeit bieten, müssen besonders auf die in Parteiorganisationen geistig und wirtschaftlich Gefesselten und auf Halbmutige starke Wirkung ausüben. Drexler ist als einziger aus der 2.000 Köpfe umfassenden Gewerkschaft der Münchener Eisenbahnwerkstätten ausgetreten, 1. weil er die Entpolitisierung der Gewerkschaften fordert und 2. weil er sie in ihrer jetzigen politischen Tyrannei lediglich als ein Instrument des jüdischen Großkapitals bezeichnet. Als Antwort ist er kürzlich von seinem sachlich wichtigen und angesehenen Posten in den Werkstätten durch die Gewerkschaftsleistung, wenn auch ohne Gehaltminderung, auf seinen Anfangposten zurückgesetzt worden! Da minder Sichtbare und minder Begabte im Falle ihres Anschlusses an diesen Rebellen gegen die Gewerkschaft mit der Ansehensminderung zugleich eine Gehaltverminderung befürchten, wenn nicht gar den glatten Hinauswurf erwarten, so lassen sie das Beispiel Drexlers schweigend wirken. Nichtsdestoweniger oder gerade deshalb wächst der Zündstoff für die Zukunft. Und die National-Sozialen verschleiern nicht, daß ihnen das keineswegs erwünscht ist. Sie sind sich darüber klar geworden, daß sie eine unbedingt revolutionäre Partei sein müssen, daß sie eine zur Diktatur aus antisemitischen Kreisen führende nationale Revolution erstreben müssen, wenn sie vor sich selbst Daseinsberechtigung haben wollen. In diesem Sinne haben die Münchener bereits bestimmend auf die österreichischen National-Sozialisten gewirkt.

Quelle:

Der Deutsche vom 31.3.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0321.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307554

 

Bilder:

Stumpp Hitlerkarikatur 1933 - Emil Stumpp – Wikipedia

Bundesarchiv Bild 119-5519, Coburg, "Deutscher Tag", NSDAP-Delegation - Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Wikipedia