100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Letzter Schliff an der Landesverfassung

Die Ausarbeitung der Thüringer Verfassung steht vor dem Abschluss, dennoch gibt es im Landtag einigen Gesprächsstoff.

Ehemaliges Gebäude des Thüringer Landtags

Verfassungsfragen im Thüringer Landtag

Weimar, 3. März 1921.

Entgegen aller Voraussicht und auch wohl entgegen aller Abmachung gab es gestern im Thüringer Landtag bei der Beratung der endgültigen Verfassung des Landes Thüringen doch noch eine ausgedehnte Debatte. Schon wollte der Präsident feststellen, daß keine Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache vorlagen, als der Gothaer Kommunist Tenner die Redelawine ins Rollen brachte. Am Sonntag finden im Gebiet Gotha zum dritten Male seit der Revolution Gebietsvertretungswahlen statt und der Hunger nach Wahlparolen veranlaßte Tenner, wie er sagte, die andern Parteien zu Aeußerungen über die Verfassung zu provozieren. Aber der Neid muß es ihm lassen, daß er es diesmal vollendet ungeschickt begann. Er glaubte die vom „Volk“ und allen Sozialisten seit Lassalle immer betonte Tatsache, daß die Verfassung zunächst nur ein Stück Papier ist, als funkelnagelneues Moskauer Produkt ausbieten zu können. Krampfhaft suchte er nach Beweisen, deren es wahrlich nicht bedurft hätte, um zu belegen, daß die Reichsverfassung noch nicht in allen Punkten ausgeführt worden ist. Letzten Endes hängt allerdings die Wirkung einer demokratischen Verfassung nämlich vom Willen der Arbeitnehmer ab; wie sehr dieser gesplittert und gespalten und damit die Verfassung in ihrer Entfaltung gerade von den Kommunisten gehemmt worden ist, verschwieg Tenner. Er lamentierte breit, wenn man seine Ausführungen zu einem kurzen Bilde zusammenfaßt, daß es trotz aller Moral noch böse Menschen, trotz der Diebstahlparagraphen noch Langfinger gibt.

Der Unabhängige Brill konnte ihm darum trotz aller Freundschaft nicht nachsagen, daß er den rechten Gesichtspunkt zur Behandlung der Verfassungsfragen eingenommen hatte, und erklärte dann gegen Tenner, daß seine, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, den Boden der demokratischen Verfassung nicht verlassen würde, solange nicht der offene politische Machtkampf ein anderes gebiete.

Ehe sich über diese Aeußerung bei den Kommunisten genug Hirndampf zu einer demagogischen Explosion sammeln konnte, führte Gen. Kieß-Jena (SPD.) die Stellung der Sozialdemokratischen Partei zu der demokratischen Verfassung aus. Der Parlamentarismus ist nicht Endziel des Sozialismus, sondern Mittel zum Zweck; angesichts der Klassenstärke der Ausbeuter und der Ausgebeuteten ist aber die Demokratie das billigste Mittel für die Proletarier, in den Staatsapparat einzudringen, und in dem Maße, wie sie bewußt und zielklar, einig vor allem, es zu wollen, ihn auch erobern. Darum ist der Sozialdemokratie die Verfassung auch kein Fetisch, wie etwa die „Diktatur“ den Kommunisten.

Inzwischen hatte der Kommunist Zimmermann die deutliche Erklärung Brills gegen Putsche in das für den Gothaer Wahlbedarf nötige agitatorische Kleingeld umgewechselt, und Brill und die Unabhängigen wurden als in die Kapitalsdemokratie verliebt und verschossen, für den Klassenkampf, wie ihn die Kommunisten auffassen, rettungslos verloren „festgenagelt“. Im Bekenntniston erklärte Zimmermann dann, wie vorher auch Tenner, daß die VKPD. strikter Gegner der Verfassung sei, dann kühner werdend, daß ja alle in diesem Haus Gegner der Verfassung wären. Sehr verwegen erklomm er schließlich den Gipfel seines Mannesmuts und dekretierte alle Parteien, außer der VKPD., als – Heuchler. Seit einiger Zeit liefert allerdings die KPD. Zu der von ihr eifrig geförderten Tragödie der proletarischen Entzweiung auch das Satyrspiel nicht nur zum ingrimmigen Humor der Arbeiter, noch mehr zur reinsten Freude der Bourgeoisie: In München tanzten die Kommunisten Graf und Thomas mit teutschen Studenten den nationalistischen Fasching und Zimmermann erprobte in burlesker Form seinen kommunistischen Mannesmut vor dem gerade reaktionär besetzten Präsidentenstuhl. Unter dem drohenden Bannstrahl eines Ordnungsrufs bog der Kommunist Zimmermann erst der Frage, ob er mit seinem Worte „alle Parteien“ auch Mitglieder des Landtags gemeint habe, aus. In echt preußischer Korrektheit aber verlangte Präsident Bauer dennoch eine unumwundene Antwort, ein Zwischenruf mahnte Zimmermann zum Ueberfluß sehr deutlich: Nun heuchle du mal nicht! – – und Zimmermann bewies, daß er nicht ganz so tapfer ist, wie er scheinen wollte. Er war brav und sagte gequetscht: Nein, Mitglieder dieses Landtages hätte er nicht als Heuchler bezeichnet … …

 Auch die engere Parteizugehörigkeit zu Zimmermann ließ, wie man sah nicht gegen diese überwältigende Komik gefeit sein. Die Lachmuskeln folgten noch nicht der Moskauer Strippe. Alles lachte herzlich und der brave Zimmermann vergnügte sich schließlich mit.

Zwischen den Sozialisten trat Herr Enders (Demokrat) auf und stellte verdienstlich fest, daß der Antithüringer National-Höfer gerade zur Verfassungsberatung fehle, während er zum Ministersturzversuch Brandensteins seine kostbare Zeit zu opfern beliebt hatte. Herr Baum vom Landbund, der immer dann, wenn Gutgläubigkeit ganz echt erscheinen soll, von der Rechten vorgeschickt wird, zürnte Herrn Enders mit einem leider bereits abgetragenen Witz und strahlte dann in einem heiteren Zwiegespräch mit der Linken eitel Siegesfreude über die Zukunft Orghöfs. Herr v. Eichel (Dnat.) trat auf mehrfachen Wunsch wieder in der immer heiteres Schmunzeln garantierenden Rolle eines überzeugten Gegners jedes Putsches auf und legte sich der Verfassung gegenüber jedoch vorsichtigerweise nur insoweit fest, als er sich euphemistisch ein „Notdach“ nannte. Ob er solchen Bau mit eigenen Kapitalien zu beleihen gedenkt, verschwieg er, und wir glauben der Arbeiterschaft, den Republikanern, raten zu müssen, die Versicherung des Staats-Dachs sicherheitshalber in eigene Hand zu nehmen.

Auf Stichwort trat sodann zum elegischen Abschluß der aus Mitgliedern aller in und an Gotha interessierten Parteien bestehende Trupp auf. Echte Staatsräte und Volksbeauftragte a. D. Gothas erlustierten sich und das Haus in liebenswürdigen Wechselreden, nur Herr Witzmann lehnte mit der großen Geste des wirklich bescheidenen Mannes jede Zumutung, in den Kapptagen einmal ganz geheimer Gothaischer Staatsrat gewesen zu sein, ab.

Dann trat man in die Einzelberatung der Verfassung und beschloß die ersten Ausschußanträge.

Quelle:

Das Volk vom 3.3.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_03_0369.tif

 

Bild:

Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar - Thüringer Landtag (Weimarer Republik) – Wikipedia