100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Mitteldeutscher Aufstand niedergeschlagen

Nach der Erstürmung der Leunawerke durch die Reichswehr ist der kommunistische Aufstand praktisch beendet. Das linksliberale Jenaer Volksblatt berichtet ausführlich über die Sicherheitslage in Thüringen, wo sich mancherorts Arbeiter am kommunistischen Aufruf zum Generalstreik beteiligten.

Eisenbahnattentat im Rahmen der Märzkämpfe

Die Leunawerke von der Reichswehr im Sturm genommen.

Leipzig, 29. März. Nach einer amtlichen Mitteilung sind heute Dienstag morgen in der 10. Stunde die Leunawerke von den Reichswehrtruppen im Sturm genommen worden. Ueber 1.000 Gefangene wurden eingebracht.

Leipzig, 28. März. Am Ostermontag-Morgen begann das Kesseltreiben gegen die Aufrührer des Leunawerkes. Reichswehr aus Düsseldorf, Hannover und anderen Orten ist hinzugezogen. Es haben bereits Gefechte stattgefunden, die für die Aufrührer verlustreich verliefen und einen günstigen Ausgang erhoffen lassen, so daß der Widerstand der bewaffneten Arbeiter voraussichtlich noch heute gebrochen werden kann.

*

Die Lage in Thüringen.

Gotha, 26. März. Nachdem in einer Betriebsräteversammlung ein Generalstreik mit zwei Drittel Mehrheit abgelehnt worden war, sind gestern die Betriebsräte abgesetzt worden. Ein Aktionsausschuß wurde gebildet, der heute morgen 8 Uhr den Generalstreik proklamierte. Es besteht seit diesem Beschluß große Uneinigkeit unter den Kommunisten selbst. Aus den Zeitungsbetrieben wurden die Leute mit Gewalt entfernt.

Eisenach, 28. März. Die Aufforderung zum Generalstreik wird auch von den Eisenacher Kommunisten durch Flugblätter und Handzettel betrieben. Gegen dieses Treiben haben die Vorstände der Sozialdemokratischen Partei, der Unabhängigen sozialdemokratischen Partei und des Gewerkschaftskartells mit aller Entschiedenheit Stellung genommen. Sie fordern die Arbeiter auf, sich nicht zu Unbesonnenheiten hinreißen zu lassen, sondern in den Betrieben zu bleiben und ihrer Arbeit nachzugehen.

Die Befreiung der Gefangenen in Gotha.

Gotha, 29. März. Am Sonnabend nachmittag haben die Kommunisten die noch in Untersuchungshaft befindlichen Märzgefangenen aus dem hiesigen Landgerichtsgefängnis befreit; u. a. ist der Mörder des Leutnants Schmidt aus Erfurt wieder in Freiheit. Im ganzen haben die unter Drohungen in das Gefängnis eingedrungenen Kommunisten 31 Gefangene in Freiheit gesetzt, darunter auch Sittlichkeitsverbrecher und wegen anderer schwerer Delikte angeklagte Personen. Die Lage in Gotha ist sehr ungeklärt. Für Dienstag sind große Demonstrationen vorgesehen. Das Gas, das seit drei Tagen abgesperrt war, ist seit Montag früh wieder angestellt worden. Elektrischen Strom liefert das Kraftwerk in Breitungen.

Dazu liegt folgende „Berichtigung“ vor:

Weimar, 28. März. Der Befehlshaber der Landespolizei teilt mit: In einem, auch der Presse zugänglich gemachten Telegramm aus Berlin wird behauptet, daß in Gotha am 26. März „das Gefängnis erstürmt“ worden sei. Diese Nachricht entspricht in dieser Form nicht den Tatsachen. Wahr ist vielmehr, daß am 26. März nachmittags eine größere Menschenmasse vor dem Gefängnis in Gotha erschien und die Herausgabe von Gefangenen forderte. Daraufhin hat die Gefängnisverwaltung, ohne irgendwie die Polizei zu benachrichtigen, 31 Gefangene freigelassen. Die Angelegenheit wird noch durch eine amtliche eingeleitete Untersuchung weiter verfolgt.

[…]

*

Gefangene Aufständische in Eisleben

Die Lage in Jena.

Die Aufruhr-Vorgänge um Halle blieben auch auf unsere Bevölkerung nicht ohne Einwirkung.

Am Ostersonnabend waren es die zur Ruhe, Ordnung und Besonnenheit mahnenden Anschläge der Mehrheits- und unabhängigen Sozialdemokraten und der Gewerkschaften, die das Mißfallen der Kommunisten erregten. Sie wurden, ohne daß unsere Polizei es hinderte, rasch durch Ueberkleben mit kommunistischen Plakaten, für die wohl kaum die vorgeschriebene Gebühr entrichtet worden ist, unkenntlich gemacht.

Beruhigende Nachrichten aus dem Aufruhrgebiet nordwestlich von Halle brachte der erste Ostertag; das scharfe Vorgehen der Sicherheitspolizei schien das dort glimmende Feuer erstickt zu haben.

Da kamen plötzlich am zweiten Ostertage vormittags alarmierende Meldungen aus der Gegend südlich von Halle. Das Blatt hatte sich wieder gewendet und nunmehr sollte auch die friedliebende werktätige Bevölkerung, die das schöne Osterwetter zu kleinen und größeren Ausflügen benutzt hatte, schwer unter den Einwirkungen des Aufruhrs leiden. Zahlreiche Eisenbahnzüge konnten nicht mehr oder nur mit großer Verspätung ihre Ziele erreichen, die Reisenden stauten sich auf den einzelnen Bahnhöfen und Klagen und Verwünschungen gegen die gewissenlosen Hetzer, die der arbeitenden Bevölkerung nicht einmal ihre Osterfreude gönnten, wurden laut. Zahlreiche Ausflügler konnten erst heute Dienstag auf Umwegen ihre Wohnsitze wieder erreichen.

In Jena versuchten die Kommunisten, die besonders die Arbeitslosen für ihre Zwecke zu verwenden wissen, den Generalstreik zu inszenieren. Da der große Zeitzbetrieb bekanntlich am 3. Feiertag nicht arbeitet, richteten sie ihr Augenmerk zunächst auf die Eisenbahnwerkstätten; dort mußten sie sich aber eine gründliche Abfuhr holen: gegen nur ganz wenige Stimmen wurde in einer sofort einberufenen Versammlung der Eintritt in den Generalstreik abgelehnt. Die Arbeit wurde in der Nachmittagsschicht wieder aufgenommen.

Dagegen gelang es den Kommunisten, zum Teil durch Anwendung von sanfter Gewalt, den Straßenbahnbetrieb zum Stillstand zu bringen. Ob noch weitere Geschäfte feiern, konnten wir bis zur Stunde nicht feststellen.

Militärische Eisenbahntransporte passierten seit erstem Osterfeiertag mehrfach den Saalbahnhof. Heute vormittag gegen 11 Uhr lief abermals ein langer Transportzug im Saalbahnhof ein; ein zweiter wird mittags gegen 1 Uhr erwartet. Die Truppen kamen aus Süddeutschland; als Reiseziel wurde Naumburg, wo bereits während der Feiertage bayerische Reichswehr sichtbar wurde, und die Weißenfelser Gegend bezeichnet. – Auch eine kleine Abteilung der Sipo mit Auto war in den Vormittagsstunden am Lutherplatz und vor dem Stadthause wahrnehmbar.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 29.3.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273851/JVB_19210329_072_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371294

 

Bilder:

Bundesarchiv Bild 119-2303E, Märzkämpfe, Eisenbahnattentate - Märzkämpfe in Mitteldeutschland – Wikipedia

Bundesarchiv Bild 183-K0105-0601-004, Märzkämpfe in Mitteldeutschland, Eisleben - Märzkämpfe in Mitteldeutschland – Wikipedia