„Saargebiet“ oder „Territoire du Bassin de la Sarre“?
Der Versailler Friedensvertrag sieht eine Sonderverwaltung für das kohlenreiche Saargebiet vor, welches faktisch zum französischen Wirtschaftsraum gehört. Mit wirtschaftlichem Druck soll langsam eine Abtrennung des deutschsprachigen Landesteils erreicht werden, wie dieser „Stimmungsbericht“ zeigt.
Stimmungsbericht aus dem Saargebiet.
Von Martin Holz.
Wer heute mit offenen Augen und Ohren durch das besetzte Saarland reist, der nimmt überall und mit jedem Tage stärker wahr, daß es die ernste und feststehende Absicht der Franzosen ist, den von uns abgeschnittenen Volksgenossen im dortigen Gebiet den Anschluß an Frankreich so schmackhaft wie möglich zu machen. Es ist bekannt, daß man den saarländischen Bergarbeitern die Löhnung in Franks ausgezahlt, und es ist nicht zu verwundern, daß diese Maßnahme zu einer erheblich gesteigerten Förderung geführt hat, so daß die Halden in allen Saargruben übervoll sind. Der Beamtenstreik, der zur Wahrung alterworbener Beamtenrechte im Rahmen einer reichsdeutschen Beamtenorganisation ausgebrochen war, mußte infolge des Ausbleibens der Unterstützung durch die französischerseits mit solchem „Wohlwollen“ behandelten Bergarbeiter begreiflicherweise ergebnislos verlaufen. Nun zeigen sich freilich auch für die Bergarbeiter die natürlichen Folgen ihrer gesteigerten Leistungen: es sind Feierschichten eingelegt worden, und es ist bereits ein Abstrich von vier Francs am Schichtlohn erfolgt, so daß sie heute für ihre Achtstundenschicht statt 25 Francs nur noch 21 Francs bekommen. Durch die angehäuften Kohlenvorräte ist außerdem ein etwaiger Streik der Bergarbeiter zurzeit von vornherein zu völliger Aussichtslosigkeit verurteilt. Einen weiteren Erfolg dürfte die Saarregierung in den nächsten Tagen mit ihrer fuchsschlauen Politik erzielen, denn es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß sich bei der bevorstehenden endgültigen Abstimmung der Eisenbahner über Mark- und Francs-Währung auch diese sich unter dem wirtschaftlichen Druck für Francs entscheiden werden. Damit ist das eine große Mittel, mit dem Frankreich auf den vorzeitigen Anschluß des Saarlandes hinarbeitet, gekennzeichnet. Das zweite Mittel beruht in einer systematischen Erleichterung aller Einfuhren aus Frankreich, die zu vorzugsweise gestellten Preisen an die Saarlandbevölkerung abgegeben werden. Andererseits wird die Einfuhr aus dem nichtbesetzten deutschen Gebiet nach Möglichkeit erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. So kann selbstverständlich die französische Ware – darunter viele tägliche Bedarfsartikel – wesentlich billiger verkauft werden als die deutsche. Es ist die feststehende Absicht aller klarsehenden, gut deutschgesinnten Saarländer, und auch der Eindruck aller das Saarland aufmerksam und vorurteilslos bereisenden Deutschen des unbesetzten Gebietes, daß zur Stärkung der fast durchweg reichstreuen Gesinnung der Saarländer vom Reiche her weitaus zu wenig geschieht. Es dürfte keine Gelegenheit versäumt werden, das Gefühl der Zusammengehörigkeit von dem unbesetzten Gebiete aus zu klarem und bestimmtem Ausdruck zu bringen. Aber auch andere Unterlassungssünden werden mit berechtigter Bitterkeit empfunden. Während sich die Saarregierung ausdrücklich für die Gewährung erhöhter Franks-Bezüge geneigt zeigt, streiten sich beispielsweise in Bayern die Regierungsstellen in Speyer und Würzburg darüber, wer zur Auszahlung der Anfang Dezember beschlossenen Teuerungszuschlagserhöhung kompetent sei, obwohl ihnen die aus nationalen Gründen bedingte Unaufschiebbarkeit bekannt sein muß. Die deutschen Verallgemeinerungen über die schwarze Schmach haben den eigenen Volksgenossen im besetzten Gebiet sehr geschadet. Sie sind der Ansicht, daß es besser gewesen wäre, einen Teil der geräuschvoll aufgebauschten Protestaktionen verpufften Kraft im Interesse einer nachhaltigen Betonung der Unzerreißbarkeit deutschen Landes anzuwenden.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 10.3.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273837/JVB_19210310_058_167758667_B2_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371280