Thüringen vor dem Aufstand?
In der benachbarten preußischen Provinz Sachsen kommt es bereits seit Tagen zu Kämpfen zwischen der Polizei und kommunistischen Aufständischen. Die KPD rief zum Generalstreik auf und der Linkskommunist Max Hoelz führte den militärischen Aufstand gegen die Staatsmacht an. Die mehrheitssozialdemokratische Presse sorgt sich, dass der Aufstand auf Thüringen übergreifen könnte.
Vor neuen Aktionen in Thüringen?
Reaktionäre Provokateure an der Arbeit.
Wie wir in unserem gestrigen Artikel „Zu den Vorgängen in Mitteldeutschland“ bereits andeuteten, sind auch in Thüringen Bestrebungen im Gange, die kommunistischen Aktionen in Mitteldeutschland durch entsprechende Aktionen in Thüringen zu unterstützen. Nach uns von glaubwürdiger Seite zugegangen Informationen soll der Auftakt von dem kommunistischen Zentrum Gotha aus erfolgen. Und wiederum scheint man – wie an anderen Orten – die Erwerbslosen als das geeignete Element zu halten, die Avantgarde abzugeben. Auf einem am 17. März in Gotha stattgefundenen Erwerbslosenkongreß wurde beschlossen, erneute umfangreiche und energische Demonstrationen zu unternehmen, wenn die Regierung nicht strikte ihre gemachten Zusagen einhalten sollte.
Was ist dies weiter als eine neue Kampfansage an die Thüringer Regierung! Einsichtsvolle Erwerbslose müßten doch berücksichtigen, daß der Wille der Thüringer Regierung auch in mancher Hinsicht begrenzt ist und von den Entschließungen des Reiches abhängig ist. Daß speziell der Thüringische Wirtschaftsminister, Genosse Frölich, alles tut, um das Erwerbslosenelend zu mildern, hat er durch Taten bewiesen; daß er bei den in Frage kommenden Reichsstellen sich mit aller Energie einsetzt, um für die Thüringer Erwerbslosen alles herauszuholen, was herauszuholen ist, darüber sind wir aufs beste informiert. Was sollen also die Drohungen mit umfangreicheren und energischeren Demonstrationen?
Soweit wir ferner von sehr glaubwürdiger und gut informierter Stelle unterrichtet sind, werden zum guten Teil die kommunistischen Arbeiter von reaktionärer Seite mißbraucht.
Es sind sichere Anzeichen vorhanden, daß reaktionäre Provokateure und Spitzel an der Arbeit sind, die Arbeiter, und vor allem die kommunistischen, zu Unbesonnenheiten zu verleiten, um ein Blutbad anzurichten und damit die sozialistisch-demokratische Regierung zu erschüttern und durch eine Regierung des Rechtsblockes zu ersetzen. Hungrig werden die politischen Hyänen des Rechtsblocks, um endlich das lang gehegte Ziel ihrer Wünsche zu erreichen.
Darum, Arbeiter Thüringens, laßt euch nicht provozieren, übt Ruhe und Besonnenheit!
Auch die Erwerbslosen haben ein starkes Interesse an der Erhaltung der jetzigen Thüringer Linksregierung.
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Die Lage in Nordthüringen
Weimar, 24. März 1921.
Von einem seiner Mitarbeiter erhält „Das Volk“ folgendes Bild:
Gleich nach Eintreffen der ersten Nachrichten von den Unruhen im Mansfeldischen besuchte gestern nachmittag ein sozialistischer Regierungsvertreter, der mit den Arbeiterverhältnissen in Nordthüringen vertraut ist, die an das preußische Gebiet angrenzenden Ortschaften. Er setzte sich mit den Gewerkschaftskartellen in Verbindung und erzielte überall Einvernehmen über die zu treffenden Maßnahmen. Die Ortsausschüsse erklärten, gegenüber allen Provokationen, woher sie auch kommen würden, diesen kalt entgegenzutreten, ersuchten jedoch, von einer Belegung der sogen. Unterherrschaften und des Allstedter Kreises durch Thür. Landespolizei vorläufig abzusehen. Das wurde selbstverständlich zugesagt, zumal die Aussprache über die Landespolizei den Arbeitervertretern Gewißheit über die republikanische Zuverlässigkeit der Landespolizei gewährte.
Die Bezirke Allstedt, Frankenhause und Sondershausen wie ganz Nordthüringen sind vollständig ruhig. In Heygendorf fand gestern abend eine kommunistische Versammlung unter einem Sangershausener Kommunisten statt, desgleichen war eine Versammlung derselben Partei für Stockhausen bei Sondershausen mit der Tagesordnung „Die Kalikrise“ angesetzt. Man wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Kommunisten sich die katastrophale Lage des Kalibergbaus für ihre Agitation zunutze machen werden. Das ist gewiß ihr gutes Recht; ob aber ihre Mittel zur Behebung der Krise den Beifall der Kaliarbeiter finden werden, steht noch ganz dahin. Die Masse der Kaliarbeiter weiß, daß die Projekte der Kommunisten feil wie Brombeeren sind, daß sie nur eins nicht schaffen, was die Kaliarbeiter brauchen: Arbeit!
Quelle:
Das Volk vom 24.3.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_03_0499.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00190915