100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Umstrittenes Selbstbestimmungsrecht der Völker

In recht ausschweifenden Worten kritisiert der Deutsche aus Sondershausen die Haltung der französischen und englischen Regierung gegenüber Deutschösterreich und verweist mehrfach auf den französisch-russischen „Raubvertrag“ von 1917 gegen Deutschland, der die Abspaltung des Rheinlandes vorsah.

Mehrheitlich deutschsprachige Gebiete der ehemaligen KuK-Monarchie

Deutschösterreich und Deutschland

Die gesamte deutschösterreichische Presse spiegelt die Einmütigkeit wieder, mit der die gesamte Öffentlichkeit sich in unlösbarer Gemeinschaft mit dem deutschen Volke auch in dem Augenblicke verbunden fühlt, in dem der brutale Rechtsbruch der Feinde es vor neue Prüfungen stellt. Die Haltung der deutschen Regierung wird durchaus gebilligt und darauf hingewiesen, daß ihr mit Rücksicht auf die Fortführung des französischen Raubkrieges über Versailles hinaus keine andere Wahl geblieben war. Man erinnert in diesem Zusammenhange daran, daß die Strafmaßnahmen von London durchaus dem Inhalte des französisch-russischen Raubvertrages vom Jänner 1917 entsprechen, der von den französischen Ministern so lange als möglich geheimgehalten wurde, das stärkste Beweisstück für Urheberschaft und Verlängerung des Krieges bilde. Man erinnert sich aber auch daran, daß Balfour im Dezember 1917, als Ponsonby wegen des französisch-russischen Raubertrages vorstellig geworden war, im Tone beleidigter Unschuld erklärte, daß England kein Sterbenswörtchen von einem solchen Vertrage gehört, niemals Bestrebungen ermuntert habe, die irgend ein Stück von deutschen Nachbarteilen losreißen wollen, und daß er auch nicht glaube, daß irgend ein französischer Staatsmann das jemals beabsichtigt habe. Balfour hatte die Stirne das zu behaupten, als alle Welt bereits wußte, daß die englische Regierung über den Raubvertrag genauestens informiert war und deshalb überrascht es hier auch nicht, daß England jetzt hilfreiche Hand dabei leistet, diesen Raubvertrag, betreffend des linken Rheinufers, ins Werk zu setzen. In Wiener politischen Kreisen nimmt man im Gegenteil an, daß England, weit davon entfernt Briand zu zügeln, ihn nachdrücklichst ermuntert habe, Frankreich neuerdings in Deutschland zu beschäftigen. Die englische Politik habe es immer ausgezeichnet verstanden, andere für sich arbeiten zu lassen und rechne auch jetzt damit, daß Frankreich selbst durch einen Beutezug nach Deutschland seine imperialistische Kontinentalpolitik zum Scheitern bringen werde. Daß Deutschösterreich nach alledem plötzlich nach London eingeladen wurde, bezeichnet man allgemein als Komödie. Wenn es seine Vertreter nach London schickt, so gehen diese in voller Kenntnis der recht durchsichtigen Absichten der Westmächte dorthin, ohne irgendwelcher Täuschung befangen zu sein, aber auch mit dem Auftrage und dem Willen, jede Zumutung eines Verrates an der deutschen Volksgemeinschaft grundsätzlich abzulehnen. Mit Recht weist ein Blatt darauf hin, daß die Tatsache, daß der Verband sich hinsichtlich Deutschösterreichs in die Unkosten einer Komödie stütze, bezweifle, daß dieses Deutschösterreich doch noch irgend etwas in der Welt bedeuten und dieses Etwas in London zur Geltung gebracht werden müsse, wäre es auch nur um die Komödianten zu entlarven.

Quelle:

Der Deutsche vom 21.3.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0289.tif

 

Bild:

Deutschösterreich1 - Deutschösterreich – Wikipedia