100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Wie gedenken wir der Gefallenen?

Einen offiziellen Gedenktag für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges gibt es in der Weimarer Republik nicht. Sehr zur Enttäuschung der Betroffenen, wie dieser Artikel zeigt. Doch gibt es die Möglichkeit lokale Feierlichkeiten zu gestalten.

Der Sondershäuser Komponist Ernst Ludwig Gerber (1746-1819)

Aus Sondershausen.

Zur Gedenkfeier im Landestheater.

Es ist sehr zu bedauern, daß die Reichsregierung ihren Beschluß, die den 6. März zum Nationaltrauertag bestimmte, in letzter Stunde wieder aufgehoben und den Termin verschoben hat. Dieses unglückselige „Verschieben“ bringt nun auch in diese Feier eine beklagenswerte Zerfahrenheit und macht die Hoffnung, an diesem Tage endlich einmal wieder das ganze deutsche Volk einig zu sehen, zu nichte. Natürlich finden allerwärts, wo Gedenkfeiern bereits vorbereitet waren, diese morgen auch statt, so z. B. in ganz Bayern. Auch auf die hiesige Feier im Landestheater konnte der neuerliche Beschluß keinen Einfluß mehr haben. Es sei darauf aufmerksam gemacht, daß dem Prologe, der dabei zum Vortrag kommt, auch der Gedanke zu Grunde liegt, daß morgen im ganzen Reiche und vom ganzen deutschen Volke das Gedächtnis unserer gefallenen Helden gefeiert werde.

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Kirchen-Gedächtnisfeier für die Gefallenen.

Die morgen, Sonntag, abends 5 Uhr, in der Stadtkirche stattfindende „Musikalische Andacht zum Gedächtnis der Gefallenen“ stellt eine jener in der Gegenwart vielfach veranstalteten liturgischen Feiern dar, die das Religiöse und Künstlerische in der glücklichsten Weise verbinden. Der Stimmungsgehalt ist dem Zweck entsprechend ernst. Der innere Aufbau wird durch die liturgischen Vorlesungen des Geistlichen bestimmt, um die die künstlerischen Darbietungen sich ranken. Nach einer Einleitung, die das weihevolle Adagio molto für Orgel von Rheinberger sowie einen allgemeinen Gesang mit der Liturgie bringt, gedenkt der erste Teil der gefallenen Helden. Ihnen singt das Andante religioso von Becker für Cello ein ergreifendes Gedächtnislied, worauf die Singstimme in den unvergänglichen Klängen von Schubert tröstend auf den Frieden weist, in dem die Seelen der Entschlafenen ruhn und der Chor in dem Choral „Trockne deines Jammers Tränen“ von Gerber, einem Sondershäuser, das sehnende Gemüt zu dem helfenden Gott führt. Während im zweiten Teil in einem Gemeindegesang und zwei stimmungsvollen Sätzen für Cello – Adagio von Walter Schilling, einem Sondershäuser, und Andante von Pergolese – die Fülle christlicher Hoffnung auf ein ewiges Leben zum Ausdruck bringt, lenkt der dritte Teil die Gedanken auf den eigenen Heimgang, der durch Christum seinen Schrecken verloren hat für die ausharrende Treue. Hier sind es insbesondere zwei Lieder von Schubert und Bach sowie der Chor: „Wenn ich einmal soll scheiden“, die verklärend aufwärts weisen, worauf Vaterunser und Gemeindegesang das Ganze wirkungsvoll abschließen. Möchte der Veranstaltung ein voller Erfolg beschieden sein!

Quelle:

Der Deutsche 5.3.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0229.tif

 

Bild:

Ernst Ludwig Gerber - Ernst Ludwig Gerber – Wikipedia