Wie weiter in Oberschlesien?
Die Abstimmung in Oberschlesien brachte einen klaren Sieg für die deutsche Seite. Die politische Interpretation des Ergebnisses ist aber umstritten, wie diese Presserundschau zeigt. Das Jenaer Volksblatt erkennt hierbei richtig, dass auch ein Gutteil der polnischsprachigen Bevölkerung Oberschlesiens für einen Verbleib bei Deutschland stimmte. Tatsächlich wird es aber zu einer Teilung des Abstimmungsgebietes kommen, die weder die Sprachenlage (siehe Karte) noch das Abstimmungsgebietes wiederspiegeln wird.
Das oberschlesische Echo im feindlichen Ausland.
Der deutsche Abstimmungssieg in Oberschlesien ist auch nach den vorläufigen amtlichen Meldungen der Interalliierten Kommission in Oppeln ein überwältigender: 716.000 deutsche gegen 471.000 polnische Stimme. Im feindlichen Ausland hat dieser Sieg, der in Deutschland von vornherein feststand, wie eine peinliche Ueberraschung gewirkt. Besonders in den Pariser Blättern macht sich die Mißstimmung stark bemerkbar. Die polnische Niederlage wird zwar nicht geleugnet. Aber man sucht sie aus allerlei phantastischen Gründen zu erklären. Man fabelt von deutschem Terrorismus unmittelbar vor und während der Abstimmung und sucht nachzuweisen, daß die eigentliche Stimmung der Bevölkerung viel polenfreundlicher sei, als es bei der Abstimmung zum Ausdruck gekommen wäre. Einzelne große Blätter suchen freilich nach stichhaltigeren Gründen für die polnische Niederlage und führen als solche an: die gute deutsche Sozialpolitik, die die Arbeiterstimmen aufs stärkste beeinflußt habe, der fortgesetzte Rückgang der polnischen Mark, die in ihrem Wert bis auf sieben Pfennige gesunken war und die Furcht vor dem obligatorischen Militärdienst in Polen.
An die Besprechung des Abstimmungsergebnisses knüpfen die französischen Blätter bereits Vorschläge für die demnächstige Entscheidung des Obersten Rates. Wie auf Verabredung machen sie bereits Stimmung für eine Teilung Oberschlesiens zwischen Polen und Deutschland. Die 400.000 polnischen Stimmen dürften ihrer Vorteile nicht beraubt werden, so sagen sie, die ihnen der Vertrag von Versailles eingeräumt habe. Die Bergwerke Oberschlesiens müßten jedenfalls Polen zugesprochen werden, schon damit Deutschland der Mittel beraubt werde, um neues Kriegsmaterial herstellen zu können. Es werden auch vielfach Andeutungen gemacht, daß das strittige oberschlesische Gebiet eine Reihe von Jahren weiter unter der Kontrolle der Alliierten bleiben müsse, schon damit es als Pfand für die endliche Bezahlung der deutschen Kriegsschulden ausgenutzt werden könne.
Selbstverständlich sind diese Blätterstimmen keine wichtigen amtlichen Urteile. Aber immerhin geben sie die Stimmung der französischen öffentlichen Meinung wieder und beeinflussen dadurch zweifellos die späteren Entscheidungen der französischen Gewalthaber. Deshalb ist es notwendig, daß von vornherein solchen Meinungsäußerungen scharf und klar entgegengetreten wird. Briand selbst hat ja nach seiner Rückkehr von London erklärt, daß jetzt nur noch der Friedensvertrag in seinem Wortlaut auf das Verhältnis zwischen Deutschland und der Entente anzuwenden sei. Nun, nach den klaren Bestimmungen dieses Friedensvertrages kann die Entscheidung über Oberschlesien nicht jahrelang hinausgeschoben werden, sondern ist „alsbald“ zu treffen und die Verwaltung ist „sogleich“ nach der Entscheidung von der Entente freizugeben. So ist es in Schleswig und in Ostpreußen geschehen und so muß es in Oberschlesien geschehen. Irgend eine Bestimmung, welche die Zurückbehaltung Oberschlesiens als Pfand ermöglichte, findet sich im Versailler Vertrag nirgends.
Es ist aber auch ausgeschlossen, daß nach dem Abstimmungsergebnis jetzt Oberschlesien zwischen Polen und Deutschland aufgeteilt wird. Neben dem Abstimmungsergebnis sollen die wirtschaftlichen Bedingungen des Abstimmungsgebietes berücksichtigt werden. Die wirtschaftlichen Bedingungen erfordern aber dringlich die Einheitlichkeit des oberschlesischen Wirtschaftsgebietes. Wollte man einzelne Teile abtrennen, so müßte das Ganze darunter leiden. Und nicht nur Oberschlesien wäre zum Niedergang verurteilt, sondern ebenso Mitteleuropa, das vom oberschlesischen Industriegebiet aus versorgt wird.
Gegenüber der französischen Rabulistik zeigt die englische Presse eine sachlichere Beurteilung des Abstimmungsergebnisses. Sie wertet es in erster Linie als eine ernste Niederlage für Polen und als einen Schlag für die Politik Frankreichs. Aber man muß sich hüten, aus dieser Darstellung bereits Schlußfolgerungen auf die Meinung von Lloyd George und anderen einflußreichen englischen Staatsmännern zu ziehen. Die öffentliche Meinung übt in England einen wesentlich geringeren Druck auf die staatlichen Machthaber aus, als in Frankreich. Und außerdem gibt es noch genügend chauvinistische englische Blätter, die in den nächsten Tagen die polnisch-französische Niederlage in einen Sieg umzudeuten versuchen werden. Ganz so kraß werden sie es ja freilich nicht treiben, wie die polnischen Blätter. Es ist unglaublich, aber wahr, daß die polnische Presse das Abstimmungsergebnis als einen großen polnischen Sieg hinstellt und vorsätzlich die Wahrheit in ihr Gegenteil verkehrt. Deutsche Blätter werden deshalb auch an der polnischen Grenze beschlagnahmt und zurückgehalten. Es ist nur fraglich, wie lange dieser kindische Täuschungsversuch Erfolg haben wird.
Die neutrale Presse verzeichnet einstweilen nur in aller Ausführlichkeit die deutschen Siegesberichte, ohne schon im einzelnen Stellung zu ihnen zu nehmen. Aber wenn sie es demnächst tut, so wird sie nicht umhin können, der Wahrheit die Ehre zu geben und den Willen der oberschlesischen Bevölkerung zu respektieren. Dieser Wille geht aber nach den vorliegenden Abstimmungsziffern ganz unzweideutig dahin: Oberschlesien bleibt ganz und ungeteilt bei Deutschland.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 23.3.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273848/JVB_19210323_069_167758667_B1_001.tif
Bilder:
German propaganda poster, Upper Silesia Plebiscite 1 - Volksabstimmung in Oberschlesien – Wikipedia
Sprachen in Schlesien 1905 06 - Volksabstimmung in Oberschlesien – Wikipedia